Rz. 190

Im Rahmen der Billigkeitsabwägungen ist es auch möglich, bestimmte in der Vergangenheit liegende Gesichtspunkte zu berücksichtigen,[290] die keine Auswirkungen auf die zukünftige Erwerbsfähigkeit der Berechtigten haben.

 

Rz. 191

 

Praxistipp:

Es besteht also durchaus Veranlassung, auch vor dem Hintergrund der prinzipiellen Eigenverantwortung Fakten aus der Vergangenheit – also der Zeit der Ehe – mit in die Billigkeitsabwägung einzubeziehen, und zwar auf Seiten beider Ehegatten.
Es ist also zugunsten beider Ehegatten immer zu überprüfen, welche Leistungen für die eheliche Lebensgemeinschaft erbracht worden sind[291] und welche Belastungen während der Ehe getragen worden sind.
Der BGH benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff der "Lebensleistung".[292])
Hierbei handelt es sich regelmäßig um Gesichtspunkte, die für das Gericht aus dem normalen Sachverhalt regelmäßig nicht erkennbar sind, sofern sie nicht besonders vorgetragen werden.
 

Rz. 192

Dabei sind nicht nur Umstände aus der Zeit der Ehe zu berücksichtigen, sondern auch Gegebenheiten aus einer Zeit des vorehelichen Zusammenlebens. Auch hierbei handelt es sich um "Lebensleistungen" für die gemeinsame Familie.

 

Rz. 193

In die Billigkeitsabwägung einfließen können damit auch folgende weitere Gesichtspunkte:

Besondere Leistungen des Ehegatten[293] während der Zeit des Zusammenlebens ("Lebensleistung"[294]) wie z.B.

Überobligatorischer Einsatz während der Ehe zugunsten des Partners,[295]
Betreuung von 4 Kindern während der 20 Jahre dauernden Ehe,[296]
Besonderer Einsatz bei der Betreuung der gemeinsamen Kinder während der Ehe,[297]
besonderer Einsatz bei der Betreuung der gemeinsamen Kinder nach der Scheidung,[298]
Betreuung des Partners während längerer Krankheit,
Versorgung eines Kindes des Ehegatten aus einer anderen Beziehung oder eines gemeinsamen Pflegekindes,[299]
ob dem Unterhaltsgläubiger während der Ehezeit längerfristig die wirtschaftliche Verantwortung für die Familie oblag,[300]
ob der Unterhaltsschuldner etwa für ein gemeinsames Kind Bar- und Betreuungsunterhalt hat leisten müssen,[301]
Finanzierung der Ausbildung,[302] (erfolgt diese Finanzierung während der Ehe, erwächst daraus auch ein ehebedingter Vorteil des anderen Ehegatten),
die wirtschaftliche Verflechtung[303] (gemeinsames oder getrenntes Wirtschaften),
Mitarbeit im Erwerbsgeschäft des Ehegatten,[304]
die Pflege oder Unterstützung der Schwiegereltern,[305]
Bereitstellung von ererbtem Vermögen für den Erwerb eines gemeinsamen Hauses,[306]
oder die Tilgung von persönlichen Schulden des Ehegatten.

Besondere Nachteile[307] aus der Zeit der Ehe. wie z.B.

schwere Verletzung beim Bau des gemeinsamen Eigenheimes,[308]
erhebliche Verletzung bei einem vom Unterhaltspflichtigen verursachten Autounfall,[309]
Vertrauensschutz bei langfristig zu bedienenden Verbindlichkeiten,[310]
besonders beengte finanzielle Verhältnisse während der Ehe. ("Die ausgeurteilte 4-jährige Unterhaltsbefristung ist daher ein ausgewogener solidarischer Akt, der die beengten ersten 5 Jahre Ehe ausgleicht."[311])

Weitere Gesichtspunktewie z.B.

Eheschließung erst im vorgerückten Alter (kurz vor dem Rentenalter),[312]
ob der Unterhaltsschuldner wieder verheiratet und weiteren Personen gegenüber unterhaltspflichtig ist,[313]
welcher Zeitraum vom Unterhaltsgläubiger noch bis zur Verrentung überbrückt werden muss.[314]
 

Rz. 194

 

Praxistipp:

Im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsüberlegungen kann auch die Zeit der Betreuung gemeinsamer Kinder vor der Heirat Berücksichtigung finden,[315] die der BGH nicht als Grundlage für einen ehebedingten Nachteil anerkennt.[316]

[289] BGH, Beschl. v. 4.7.2018 – XII ZB 448/17, FamRZ 2018, 1506, BGH, Beschl. v. 26.2.2014 – XII ZB 235/12, NJW 2014, 1302 = FamRZ 2014, 823.
[290] Siehe auch die Zusammenstellung bei Schürmann, FuR 2008, 183, 184.
[293] BGH NJW 2014, 1302 = FamRZ 2014, 823.
[294] BGH NJW 2014, 1302 = FamRZ 2014, 823; BGH NJW 2013, 2434 = FamRZ 2013, 1291 mit Anm. Born.
[295] Klein, Das neue Unterhaltsrecht, 2008, S. 109.
[296] OLG Köln FamRZ 2014, 1207, 1208; vgl. auch OLG Koblenz FamRZ 2012, 1395.
[298] BGH FamRZ 2012, 772 = FamFR 2012, 773 = NJW 2012,1807.
[299] OLG Hamm FamRZ 1994, 1108 (beim Trennungsunterhalt).
[300] OLG Saarbrücken v. 28.8.2008 – 2 UF 16/07, FF 2008, 504.
[302] BGH NJW 2011, 3577 mit Anm. Born = FamRZ 2011, 1851 mit Anm. Schürmann; OLG Hamm v. 13.6.2013 – 4 UF 9/13; OLG Hamm NJW-RR 1991, 1447; Clausius in jurisPK-BGB, § 1578b, Rn 30; OLG Saarbrücken v. 28.8.2008 – 2 UF 16/07, FF 2008, 505 mit Anm. Clausius; KG NJW 2009, 3661, OLG Frankfurt FamRZ 1999, 97.

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