Rz. 99

Fahrzeuge mit einer Fahrleistung von nicht mehr als 1.000 km sind im Regelfall als fabrikneu anzusehen.[191] Wird ein solches Fahrzeug bei einem Unfall beschädigt, kommt, auch wenn eine Reparatur deutlich billiger wäre, eventuell eine Abrechnung des Schadens auf Neuwagenbasis in Betracht, sofern das Fahrzeug nicht länger als einen Monat zugelassen war.[192]

 

Rz. 100

Wird ein fabrikneues Fahrzeug erheblich beschädigt mit der Folge, dass es trotz Durchführung einer fachgerechten Reparatur den Charakter der Neuwertigkeit verliert, kann der Geschädigte in den Grenzen des § 251 Abs. 2 BGB ausnahmsweise die im Vergleich zum Reparaturaufwand höheren Kosten für die ­Beschaffung eines Neuwagens beanspruchen. Angesichts der schadensrechtlichen Bedeutung der Neuwertigkeit ist es dem Geschädigten in einer derartigen Situation grundsätzlich nicht zuzumuten, sich mit der Reparatur des erheblich beschädigten Fahrzeugs und der Zahlung eines den merkantilen Minderwert ausgleichenden Geldbetrags zu begnügen.[193]

 

Rz. 101

Eine erhebliche Beschädigung des Neuwagens, die den Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Beschaffung eines gleichwertigen Neufahrzeugs rechtfertigen kann, ist in der Regel anzunehmen, wenn bei dem Unfall tragende oder sicherheitsrelevante Teile, insbesondere das Fahrzeugchassis, beschädigt wurden und die fachgerechte Instandsetzung nicht völlig unerhebliche Richt- oder Schweißarbeiten am Fahrzeug erfordert.[194] Indizielle Bedeutung für die Erheblichkeit der Beschädigung kann bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung auch einem hohen merkantilen Minderwert zukommen. Dagegen ist bei Fahrzeugen mit einer Laufleistung von nicht mehr als 1.000 km nicht erforderlich, dass nach Durchführung der Instandsetzungsarbeiten noch erhebliche Schönheitsfehler verbleiben, Garantieansprüche gefährdet sind oder ein Unsicherheitsfaktor gegeben ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Unfallschäden bei einem späteren Verkauf ungefragt offenbart werden müssen oder einen Sachmangel begründen.[195]

 

Rz. 102

Bei einer Laufleistung zwischen 1.000 und 3.000 km kann eine Abrechnung auf Neuwagenbasis in ­Betracht kommen, wenn besondere Umstände vorliegen, insbesondere bei objektiver Beurteilung der ­frühere Zustand durch die Reparatur auch nicht annähernd wiederhergestellt werden kann, weil trotz der Reparatur technische Unsicherheiten oder erhebliche Schönheitsfehler verbleiben oder aufgrund der Beschädigung Garantieansprüche des Eigentümers gefährdet sein können, ohne dass der Haftpflichtversicherer alsbald verbindlich seine Einstandspflicht für diesen Fall anerkennt.[196]

 

Rz. 103

Der Anspruch auf Ersatz der für die Beschaffung eines Neufahrzeugs erforderlichen Kosten kann auch bestehen, wenn das Unfallfahrzeug vom Geschädigten gewerblich genutzt wurde, so etwa wenn das Fahrzeug zumindest auch Repräsentationszwecken diente. Jedenfalls ein zu solchen Zwecken erworbener und genutzter Neuwagen genießt nach der Verkehrsauffassung keine andere Wertschätzung als ein neuer Pkw in den Händen eines Privateigentümers.[197]

 

Rz. 104

Der Geschädigte, dessen neuer Pkw erheblich beschädigt wurde, kann den ihm entstandenen Schaden allerdings nur dann auf Neuwagenbasis abrechnen, wenn er ein fabrikneues Ersatzfahrzeug auch tatsächlich gekauft hat.[198] Die früher vertretene gegenteilige Ansicht[199] ist aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs obsolet.

[191] BGH, Urt. v. 9.6.2009 – VI ZR 110/08, VersR 2009, 1092: das Unfallfahrzeug hatte hier nicht mehr als 607 km zurückgelegt und war erst am Tag vor dem Unfall zugelassen worden.
[192] OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.3.2009 – 1 U 58/08, Schaden-Praxis 2009, 368, m. Anm. von Wenker, jurisPR-VerkR 10/2009 Anm. 2.
[193] BGH, Urt. v. 4.3.1976 – VI ZR 14/75, VersR 1976, 732; Urt. v. 3.11.1981 – VI ZR 234/80, VersR 1982, 163; Urt. v. 29.3.1983 – VI ZR 157/81, VersR 1983, 658; Urt. v. 14.6.1983 – VI ZR 213/81, VersR 1983, 758; Urt. v. 25.10.1983 – VI ZR 282/81, VersR 1984, 46; Urt. v. 9.6.2009 – VI ZR 110/08, VersR 2009, 1092.
[194] Vgl. etwa BGH, Urt. v. 9.6.2009 – VI ZR 110/08, VersR 2009, 1092; OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.3.2009 – 1 U 58/08, Schaden-Praxis 2009, 368, m. Anm. von Wenker, jurisPR-VerkR 10/2009 Anm. 2; OLG Hamburg, Urt. v. 28.3.2008 – 14 U 95/07, NZV 2008, 555; LG Zwickau, Urt. v. 19.5.2009 – 7 O 404/08, Schaden-Praxis 2010, 16.
[196] BGH, Urt. v. 3.11.1981 – VI ZR 234/80, VersR 1982, 163; OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.2.2010 – 1 U 119/09, SVR 2010, 181.
[199] Vgl. die Nachweise bei BGH, a.a.O., S. 1095.

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