Rz. 81
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich beim merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeuges allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar. Die Kritik an dieser Rechtsprechung ist unberechtigt. Unfallfahrzeuge werden auch heutzutage noch zu geringeren Preisen gehandelt als unfallfreie.
Rz. 82
Der BGH hat sich bisher nicht festgelegt, bis zu welchem Alter bzw. welcher Laufleistung ein merkantiler Minderwert zuerkannt werden kann. Er hat es jedenfalls nicht beanstandet, dass das Berufungsgericht einen merkantilen Minderwert bei einem 16 Jahre alten Mercedes Benz 200 D mit einer Laufleistung von ca. 164.000 km und einem Wiederbeschaffungswert von 2.100 EUR trotz guten Pflegezustands verneint hat. Bei dieser Sachlage wirkte sich der Unfallschaden, der nur nicht tragende Teile des Kfz betraf, nicht mehr wertmindernd aus. Allgemeine Vorgaben lassen sich insoweit nicht geben. Die vom Bundesgerichtshof früher einmal erörterte allgemeine Grenze von 100.000 km ist angesichts der fortgeschrittenen Technik heutiger Fahrzeuge bei vielen Modellen sicherlich zu niedrig angesetzt. Auch darauf, dass einige Berechnungsmethoden einen Minderwert generell verneinen, wenn das Fahrzeug älter als vier Jahre ist, sollte bei modernen Fahrzeugen nicht abgestellt werden. Die generalisierende Auffassung, bei Kraftfahrzeugen entfalle die Wertminderung in der Regel bei älteren Fahrzeugen, deren Erstzulassung entweder fünf Jahre in der Vergangenheit liege oder deren Laufleistung 100.000 km überschreite, erscheint nicht zwingend.
Rz. 83
Die Beurteilung hängt aber in jedem Einzelfall von sachverständiger Bewertung ab. Der Sachverständige kann sich freilich einer allgemein anerkannten Schätzmethode bedienen, insbesondere der Methode Ruhkopf-Sahm, die als maßgebliche Faktoren den Wiederbeschaffungswert und die Reparaturkosten und deren prozentuales Verhältnis zueinander berücksichtigt. Es sollte allerdings den Schwächen, die auch dieser Methode anhaften, angemessen Rechnung getragen werden. Auch die Anwendung anderer Methoden, von denen sich allerdings keine durchgesetzt hat, ist möglich. Die schematische Anwendung eines solchen Schätzverfahrens ohne sachverständige Begleitung wäre aber in vielen Fällen kaum sachgerecht. Je nach Sachlage kann es für die Schätzung des merkantilen Minderwerts auch ausreichen, dass der Kraftfahrzeugsachverständige die Bewertung aufgrund einer Inaugenscheinnahme des Fahrzeugs ohne Anwendung einer Methode vornimmt.
Rz. 84
Eine merkantile Wertminderung ist auch bei fiktiver Abrechnung zu berücksichtigen. Für den Anspruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts ist es im Grundsatz unerheblich, ob der Minderwert sich realisiert, weil der Geschädigte das Fahrzeug zeitnah zur Reparatur veräußert, oder ob der Geschädigte das Fahrzeug weiterbenutzt. Denn die Wertminderung tritt bereits mit der Beschädigung ein. Jedoch muss zur Unfallzeit zumindest die nicht völlig fern liegende Möglichkeit bestehen, dass sich ein Minderwert bei dem Geschädigten realisiert. Das ist nur der Fall, wenn das beschädigte Fahrzeug zumindest auch zur Teilnahme am Markt bestimmt ist, so dass sich der Minderwert noch auf einen Kaufpreis auswirken kann.
Rz. 85
Grundsätzlich kann auch bei Nutzfahrzeugen, und zwar auch bei Lastwagen, nach einem Unfall ein merkantiler Minderwert eintreten und ersatzpflichtig sein, jedenfalls dann, wenn für solche Fahrzeuge ein Gebrauchtwagenmarkt besteht. Entsprechendes gilt für Behördenfahrzeuge, z.B. Polizeifahrzeuge.
Rz. 86
Ein merkantiler Minderwert kommt auch bei Krafträdern in Betracht, wobei aber ein Markt bestehen muss, auf dem sich der Minderwert auswirken kann.