Rz. 224
Ähnlich wie für Arztpraxen besteht auch für Rechtsanwaltskanzleien ein Leitfaden zur Bewertung, den die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) zuletzt im Jahr 2018 aktualisiert hat.
Die BRAK favorisiert das sog. Umsatzverfahren, nach dem sich der Wert einer Anwaltskanzlei aus zwei Komponenten zusammensetzen, nämlich dem Substanzwert (bestehend aus Anlagevermögen, Forderungen, Kanzleiverbindlichkeiten und bei Sozietätsbeteiligungen Verbindlichkeiten des Übergebers/Erblassers), sowie dem sog. ideellen Wert (Firmenwert). Dessen ungeachtet spricht die BRAK insoweit von der "Umsatzmethode".
Rz. 225
Der Ermittlung des Substanzwerts ist der Verkehrswert (ausdrücklich nicht der Anschaffungswert) des Kanzleivermögens zugrunde zu legen. Diese umfasst insbesondere das Inventar sowie die ausstehenden Forderungen und Verbindlichkeiten (soweit diese – wie im Erbfall – übertragungsgegenständlich sind).
Bei der Ermittlung des inneren Werts ist zu beachten, dass dieser nachhaltig personengebunden und daher mit dem Geschäftswert eines gewerblichen Unternehmens nicht vergleichbar ist.
Rz. 226
Bemessungsgrundlage für den inneren Wert ist grundsätzlich der bereinigte Ist-Umsatz ohne Umsatzsteuer. Zu bereinigen sind insbesondere die außerordentlichen personenbezogenen Einnahmen (z.B. als Politiker, Mitglied eines Aufsichtsrats oder Beirats, Organ eines Verbands, Vereins und/oder einer sonstigen Organisation, Schriftsteller, Lehrer, Referent in Fort-, Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen). Daneben sind aber auch die außerordentlichen anwaltsbezogenen Einnahmen (als Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter, Vormund, Pfleger, Vermögensverwalter, Treuhänder, Mediator, Mitglied eines Schiedsgerichts, Sachverständiger, Betreuer etc.) zu bereinigen, soweit diese nur gelegentlich erzielt werden und nicht aus der Haupttätigkeit des Rechtsanwalts resultieren.
Rz. 227
Notarkanzleien (Sitze) sind nicht übertragbar; der Notariatsumsatz muss bei der Bewertung der Anwaltskanzlei unberücksichtigt bleiben. Dennoch ist die Verbindung einer Rechtsanwaltskanzlei mit einem Notariat für die Umsatzentwicklung der Kanzlei mitunter sehr vorteilhaft. Soweit eine solche Verbindung besteht, kann dies als werterhöhender Umstand zu berücksichtigen sein.
Rz. 228
Der bereinigte Umsatz ist mit einem Berechnungsfaktor zu multiplizieren, dessen Höhe sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalls richtet, der aber i.d.R. zwischen 0,3 und 1,0 liegt, in besonderen Fällen aber auch auf 0 sinken bzw. bis auf 1,3 steigen kann. Eine Reduzierung auf 0 kommt insbesondere dann in Betracht, wenn durch Krankheit oder aus anderen Gründen eine Kanzlei lange nicht mehr betrieben wurde oder völlig unwirtschaftliche oder zerrüttete Verhältnisse vorliegen. Der pauschale Ansatz eines Mittelwerts ist nicht gerechtfertigt; vielmehr sind die Bewertungsmerkmale im Einzelfall konkret zu gewichten.
Rz. 229
So ist z.B. bei Einzelkanzleien davon auszugehen, dass ein Bestehen der Kanzlei seit weniger als zehn Jahren einen Wertabschlag gegenüber den allgemeinen Verhältnissen rechtfertigt. Gleiches gilt, wenn der aktuelle Kanzleiinhaber älter als 65 Jahre ist oder er unter schlechter Gesundheit leidet. Auch überproportionale Umsatzanteile, die auf wenige Großklienten entfallen, überdurchschnittliche kanzleibedingte Kosten, Kosten angestellter Rechtsanwälte oder auslaufende Tätigkeitsarten der Kanzlei (z.B. Vertreibungsschäden, Rückübertragungen) können sich wertmindernd auswirken.
Werterhöhend kann demgegenüber das Bestehen der Kanzlei über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, ein breit gestreuter Klientenkreis, überdurchschnittlich niedrige Kosten, die Einführung des Nachfolgers durch den bisherigen Inhaber, ein besonders guter Ruf der Kanzlei, günstige Geschäfts- und Konkurrenzlage, günstige Mietverträge oder eine moderne Kanzleiausstattung zu werten sein.
Rz. 230
Dieselben Merkmale gelten im Wesentlichen auch bei Sozietäten. Bei diesen ist der Kanzleiwert zunächst für die Sozietät insgesamt zu ermitteln und sodann auf die Gesellschafter aufzuteilen. Die Aufteilung erfolgt nach den Vorgaben der BRAK nach dem Gesellschaftsvertrag, hilfsweise nach allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen.
Rz. 231
Die Hinweise der BRAK enthalten auch Vorgaben für die Bewertung von Kanzleien für den Fall der Gründung einer Sozietät bzw. für den Fall des Ausscheidens aus einer Sozietät. Diese Vorgaben sind aber für pflichtteilsrechtlich motivierte Bewertungen ohne weitere Bedeutung.