Ralf Knaier, Dr. Peter Stelmaszczyk
Rz. 525
Bei Einbringungsvorgängen ist nicht nur die Ebene der Gesellschaft, in die eingebracht wird, zu betrachten, sondern daneben auch die Ebene, von der das einzubringende Vermögen stammt. Ist das einbringende Rechtssubjekt – wie bspw. in Konzernstrukturen – ebenfalls eine Gesellschaft, sind Besonderheiten zu beachten.
Aus Sicht der einbringenden Gesellschaft handelt es sich um einen Vorgang, der wirtschaftlich mit einer Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG vergleichbar ist, der rechtstechnisch aber außerhalb des UmwG verläuft. Dennoch wird dieser Vorgang vielfach – und auch im Folgenden – ebenfalls als Ausgliederung bezeichnet.
Auf der Ebene der einbringenden Gesellschaft können besondere Kompetenz- und Zuständigkeitsprobleme entstehen, wenn im Rahmen von Einbringungsvorgängen Teile des Gesellschaftsvermögens entweder in eine andere bereits bestehende Gesellschaft, an der die einbringende Gesellschaft beteiligt ist, oder in eine neue Gesellschaft, die dann im Wege der Sachgründung entstehen soll, eingebracht werden. Grds. werden die für die Einbringung erforderlichen Rechtsgeschäfte von dem vertretungsberechtigten Organ der einbringenden Gesellschaft abgeschlossen. Zu den umstrittensten Fragen des Gesellschaftsrechts gehört, ob und in welcher Form die Gesellschafter der ausgliedernden Gesellschaft an der Einbringung beteiligt werden müssen.
aa) Ausgliederung aus einer AG
Rz. 526
Gem. § 76 Abs. 1 AktG leitet der Vorstand einer AG die Gesellschaft unter eigener Verantwortung. Ihm obliegt die Geschäftsführungsbefugnis (§ 77 Abs. 1 AktG). Eine originäre Zuständigkeit der Hauptversammlung für Geschäftsführungsentscheidungen ist gesetzlich nicht vorgesehen. Der Vorstand kann allerdings gem. § 119 Abs. 2 AktG die Hauptversammlung mit Fragen der Geschäftsführung befassen. Ob der Vorstand einen derartigen Hauptversammlungsbeschluss herbeiführen lässt, liegt nach dem Wortlaut von § 119 Abs. 2 AktG grds. allein im eigenverantwortlichen Ermessen des Vorstandes.
Rz. 527
In der Holzmüller-Entscheidung hat der BGH unter dem Stichwort "ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen" jedoch entschieden, dass bei bestimmten Geschäftsführungsmaßnahmen eine Ermessensreduktion bestehen kann und dass der Vorstand dann verpflichtet ist, einen Beschluss der Hauptversammlung gem. § 119 Abs. 2 AktG herbeizuführen.
Im konkreten Fall hatte eine AG den wertvollsten Teil ihres Gesellschaftsvermögens (ca. 80 %) auf eine durch eine Sachgründung errichtete Tochtergesellschaft in der Rechtsform der KGaA im Wege der Einzelübertragung ausgegliedert.
Die Gesellschafterrechte an der Tochtergesellschaft übt der Vorstand der Muttergesellschaft im Rahmen seiner Leitungsfunktion nach § 76 Abs. 1 AktG unter eigener Verantwortung aus. Der Vorstand kann daher in der Hauptversammlung der KGaA frei über die Wahl und Entlastung des Aufsichtsrates, die Entlastung der persönlich haftenden Gesellschafter, die Feststellung und Verwendung des Jahresabschlusses oder auch Kapitalerhöhungen entscheiden. Die Aktionäre der Muttergesellschaft haben dagegen keine Möglichkeit, den Einsatz des in die Tochtergesellschaft übertragenen Betriebskapitals, das Risiko seines Verlusts und die Verwendung der durch seinen Einsatz erzielten Erträge unmittelbar zu beeinflussen. Sie haben damit hinsichtlich des Großteils des Gesellschaftsvermögens ihre gem. § 119 Abs. 1 AktG der Hauptversammlung vorbehaltenen Befugnisse verloren. Die Stellung der Aktionäre der Muttergesellschaft hat sich durch die Ausgliederung somit zwar rechtlich nicht verändert. Faktisch sind ihre Mitbestimmungsrechte jedoch verkürzt worden, weil durch die Gründung der Tochtergesellschaft wesentliche Entscheidungskompetenzen über das Gesellschaftsvermögen auf den Vorstand verschoben wurden.
Aufgrund dieser faktischen Kompetenzverschiebung zugunsten des Vorstandes hatte der BGH entschieden, dass durch die Ausgliederung "so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse" eingegriffen wurde, dass "der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen konnte, er dürfe über sie ausschließlich in eigener Verantwortung entscheiden, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen"
Entsprechend den vom BGH aufgestellten Grundsätzen wurden in der Folgezeit von Instanzgerichten bei Ausgliederungen im Wege der Einzelrechtsnachfolge häufig ebenfalls Hauptversammlungsbeschlüsse verlangt.
Rz. 528
Indessen warf die Holzmüller-Entscheidung auch viele Folgefragen auf. So war zunächst unklar, mit welcher Mehrheit der Hauptversammlungsbeschluss gefasst werden oder welches Erheblichkeitsausmaß die Ausgliederung haben muss. Im Laufe der Diskussion wurden die ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenzen dabei tendenziell ausgeweitet. So wurde teilweise die Meinung vertreten, dass eine Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung bei Ausgliederungen grds. gegeben sei, sodass der Vorstand nur dann allein entscheidungsbefugt sei, wenn durch die Ausgliederung nur ein geringer Teil des Gesellschaftsvermögens berührt werde....