Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 91
Soll gegen den Schuldner ein Ordnungsmittel wegen der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen ein Unterlassungs- oder Duldungsgebot festgesetzt werden, so bedarf es keiner weiteren Ausführungen, dass ein vollstreckbarer und vollstreckungsfähiger Titel zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung vorgelegen haben muss. Ansonsten läge nämlich schon kein Verhaltensverstoß mehr vor.
Dies gilt in gleicher Weise für die Androhung der Ordnungsmittel, gleich, ob diese im Ausgangstitel oder durch einen gesonderten Beschluss erfolgt ist. Anderenfalls liegt nämlich kein sanktionsbewehrtes Verhaltensgebot vor.
Rz. 92
Umstritten ist dagegen, ob ein vollstreckbarer und vollstreckungsfähiger Titel auch noch im Zeitpunkt der Festsetzung des Ordnungsmittels vorliegen muss.
Rz. 93
Hinweis
Diese Frage stellt sich insbesondere dann, wenn der Titel in einer einstweiligen Verfügung besteht und im weiteren Verfahren hierüber oder dem anschließenden Hauptsacheverfahren der Vollstreckungstitel nach einer Zuwiderhandlung aber vor der Festsetzung aufgehoben wird.
Rz. 94
Nach h.M. ist eine Ahndung der Zuwiderhandlung nicht mehr möglich, wenn bei der Zuwiderhandlung der Vollstreckungstitel oder seine Vollstreckbarkeit bereits aufgehoben oder die Zwangsvollstreckung eingestellt ist. Der BGH hat entschieden, dass ein Wegfall des Titels mit Wirkung ex tunc auch dann keine Grundlage für die Vollstreckungsmaßnahme mehr sein kann, wenn die Zuwiderhandlung gegen das ausgesprochene Unterlassungsgebot vor dem Wegfall des Titels erfolgt ist.
Rz. 95
Checkliste: Unzulässigkeit von Ordnungsmitteln
Danach kann kein Ordnungsmittel mehr festgesetzt werden, wenn:
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der Titel mit ex tunc Wirkung aufgehoben wurde oder der Gläubiger die Klage zurückgenommen hat; |
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die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wurde; |
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der Titel wegen Fristablaufs gegenstandslos geworden ist; |
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die Parteien die Sache übereinstimmend für erledigt erklären; HinweisDiesen Fall hat der BGH ausdrücklich entschieden. Wird die Hauptsache übereinstimmend und uneingeschränkt für erledigt erklärt, § 91a ZPO, so hat dies nach Auffassung des BGH zur Folge, dass ein im Verfahren erlassener Titel, über den noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist, ohne weiteres entfällt. Der Titel kann danach auch dann keine Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen mehr sein, wenn die Zuwiderhandlung gegen das ausgesprochene Unterlassungsgebot zuvor begangen worden ist. Die Gegenansicht hat der BGH für mit §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO nicht vereinbar angesehen. Die Festsetzung von Ordnungsmitteln setze als Zwangsvollstreckungsmaßnahme einen noch vollstreckbaren Titel voraus. Vor diesem Hintergrund wird die Entscheidung auch für die übrigen Fallgruppen heranzuziehen sein. |
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der Gläubiger auf seine Rechte aus dem Vollstreckungstitel verzichtet; |
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eine einstweilige Verfügung nach Widerspruch aufgehoben wird. |
Rz. 96
Die Gegenansicht verweist darauf, dass den Ordnungsmitteln des § 890 ZPO sowohl Beuge- als auch Strafcharakter beizumessen sei, sodass bei einer sanktionslosen Zuwiderhandlung, bevor der Vollstreckungstitel seine Wirkung verliert, dem Strafcharakter nicht hinreichend Rechnung getragen werde. Dies mag als Nebenwirkung zutreffend und wesentlich sein, rechtfertigt aber im zivilprozessualen Vollstreckungsrecht für sich allein keine Fortsetzung der Zwangsvollstreckung.
Ist die Zwangsvollstreckung aus dem Duldungs- oder Unterlassungstitel einstweilen eingestellt, so bleibt eine Zuwiderhandlung im Einstellungszeitraum ebenfalls sanktionslos.