A. Grundsätzliches
Rz. 1
Seit dem 1.7.2008 sind mit dem Pflegezeitgesetz arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen in Kraft, die ausdrücklich dazu dienen, Beschäftigten die Pflege und Sterbebegleitung naher Angehöriger in häuslicher Umgebung zu ermöglichen. Wie in modernen Spezialgesetzen üblich geworden, hat der Gesetzgeber seine Zielsetzung auch hier unmittelbar in das Gesetz selbst aufgenommen und in § 1 PflegeZG formuliert, Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern.
Rz. 2
Zur Erreichung dieses Ziels bietet das Pflegezeitgesetz zwei unterschiedliche Modelle an: In einer akut aufgetretenen Pflegesituation haben Beschäftigte das Recht, ihrer Arbeit für bis zu zehn Arbeitstage fernzubleiben, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen – sog. Kurzpflegezeit nach § 2 Abs. 1 PflegeZG. Für bis zu sechs Monate je pflegebedürftigen nahen Angehörigen (§ 4 Abs. 1 S. 1 PflegeZG) sind Beschäftigte in näher bestimmten anderen – also nicht zwingend akuten – Pflegefällen von ihrer Arbeitsleistung vollständig oder teilweise freizustellen (Pflegezeit oder Langpflegezeit nach § 3 PflegeZG).
Rz. 3
In der Langpflegezeit unterscheiden sich seit einer Ergänzung des Gesetzes im Jahre 2015 drei Fallgruppen:
Fallgruppen der Langpflegezeit:
1. |
die Pflege pflegebedürftiger naher Angehöriger in häuslicher Umgebung (§ 3 Abs. 1 PflegeZG), |
2. |
die Betreuung minderjähriger pflegebedürftiger naher Angehöriger in häuslicher oder außerhäuslicher Umgebung (§ 3 Abs. 5 PflegeZG), |
3. |
die Begleitung naher Angehöriger, die an einer Erkrankung leiden, die progredient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat, bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig ist und die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt (Sterbebegleitung, § 3 Abs. 6 PflegeZG). |
Rz. 4
Mit der teilweisen Freistellung im Rahmen der Langpflegezeit ist eine Teilzeitmöglichkeit gemeint (Pflegeteilzeit). Die Regelungen zur Pflegezeit und Pflegeteilzeit in § 3 PflegeZG sind insgesamt der Elternzeit und Elternteilzeit nach dem BEEG erkennbar nachempfunden, weichen im Detail aber teils deutlich davon ab.
Rz. 5
Die Möglichkeiten nach dem Pflegezeitgesetz werden bereits seit 2012 durch das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) ergänzt, das wie das Pflegezeitgesetz mit Wirkung zum 1.1.2015 – vor allem im Interesse einer besseren Koordinierung der Freistellungsformen nach dem Pflegezeit- und dem Familienpflegezeitgesetz und damit insgesamt zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf – deutlich überarbeitet worden ist.
Rz. 6
In diesem Buch werden nur die Teilzeitmöglichkeiten nach dem Pflegezeit- und dem Familienpflegezeitgesetz erörtert. Deshalb bleibt die Kurzpflegezeit nach § 2 PflegeZG weitgehend unerwähnt. Einzugehen ist aber auf einige sozialversicherungsrechtliche Regelungen, die die rein arbeitsrechtlichen Vorschriften des Pflegezeitgesetzes flankieren.
B. Anspruchsvoraussetzungen
Rz. 7
Wie bereits dargestellt ermöglichen drei sich voneinander unterscheidende Fallgruppen (Pflege naher Angehöriger nach § 3 Abs. 1 PflegeZG, Pflege minderjähriger pflegebedürftiger naher Angehöriger nach § 3 Abs. 5 PflegeZG, Sterbebegleitung nach § 3 Abs. 6 PflegeZG) eine (vollständige oder) teilweise Freistellung von der Arbeitsleistung, also eine befristete Teilzeittätigkeit (Pflegeteilzeit). Ungeachtet der Unterschiede gelten einige Voraussetzungen für alle drei Fallgruppen gleichermaßen. Das betrifft vor allem den grundsätzlich begünstigten Personenkreis und die Begrifflichkeiten des nahen Angehörigen und der Pflegebedürftigkeit.
I. Begünstigter Personenkreis
Rz. 8
Das Pflegezeitgesetz begünstigt nicht nur Arbeitnehmer, sondern "Beschäftigte". § 7 Abs. 1 PflegeZG definiert diesen Begriff des Beschäftigten für Zwecke des Gesetzes und fasst darunter neben den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch die Auszubildenden sowie die arbeitnehmerähnlichen Personen einschließlich der Heimarbeiter und der ihnen Gleichgestellten. Die hiesige Darstellung bezieht sich auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; für die übrigen Beschäftigtengruppen können leicht abweichende Regeln, vor allem leicht abweichende Begrifflichkeiten, gelten.
Rz. 9
Eine Wartezeit, also eine Mindestdauer, während der das Arbeitsverhältnis für das Recht auf Pflegezeit/Pflegeteilzeit bestanden haben müsste, besteht nicht – anders als etwa in § 8 Abs. 1 TzBfG.
Rz. 10
Dennoch kann nicht jeder Arbeitnehmer Pflegezeit/Pflegeteilzeit verlangen, denn der Anspruch besteht nicht gegenüber Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger Beschäftigten, § 3 Abs. 1 S. 2, ggf. i.V.m. § 3 A...