Rz. 96
Der Unterhaltsschaden des bisher nicht berufstätigen Ehegatten wird dadurch beeinflusst, dass er nach dem Tode des Alleinverdieners eine eigene Erwerbstätigkeit tatsächlich aufnimmt oder jedenfalls in zumutbarer Weise aufnehmen könnte.
Rz. 97
Beginnt der hinterbliebene Ehegatte, der seinerseits nunmehr dem Getöteten nicht mehr durch Haushaltstätigkeit Unterhaltsleistungen erbringen muss und daher in seiner zeitlichen Disposition freier ist, eine Berufstätigkeit, so muss er sich die hieraus erzielten Einnahmen, sofern die Arbeitsaufnahme für ihn nicht unzumutbar war, im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen. Eine derartige Anrechnung kommt nur dann nicht in Betracht, wenn die Arbeitsaufnahme als überobligationsmäßiges Verhalten des hinterbliebenen Partners anzusehen ist, das deshalb nicht zu einer Entlastung des Schädigers führen darf; Arbeitslosenhilfe ist nicht anzurechnen.
Rz. 98
Bei einer Witwe, die bisher den Haushalt geführt hat, ist das teilweise Freiwerden der Arbeitskraft als solches nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Die Witwe kann aber aus Gründen der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) zur Arbeitsaufnahme verpflichtet sein. Arbeitet sie dann gleichwohl nicht, ist das fiktive Arbeitseinkommen anspruchsmindernd zu berücksichtigen.
Rz. 99
Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht setzt voraus, dass dem hinterbliebenen Ehegatten eine Arbeitsaufnahme tatsächlich überhaupt möglich gewesen wäre, vor allem aber auch, dass sie ihm zugemutet werden konnte. Alter, Leistungsfähigkeit, Ausbildungsstand, Fähigkeiten etc. spielen insoweit eine bedeutende Rolle. Dabei ist die Zumutbarkeit der Erwerbstätigkeit im Verhältnis zum Schädiger unabhängig von den Pflichten während der Ehe zu prüfen. Die Schadensminderungspflicht besteht auch, wenn die Witwe ohne den Unfall weiterhin Nur-Hausfrau geblieben wäre. § 844 Abs. 2 BGB gewährt keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung der bisherigen Lebensführung. Wesentlich wird es vor allem darauf ankommen, ob der hinterbliebene Partner (etwa die Witwe) noch betreuungs- und erziehungsbedürftige Kinder zu versorgen hat. In diesem Fall (auch bei nur einem Kind) ist ihr regelmäßig eine Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten. Zu prüfen ist jedoch jeweils, ob auch bei Kinderbetreuung eine Teilzeitbeschäftigung in Betracht kommt. Einer Witwe ist es zuzumuten, zugunsten des Schädigers eine Tätigkeit im zuvor ausgeübten Rahmen wieder aufzunehmen, sobald die Notwendigkeit der Kinderbetreuung entfällt.
Rz. 100
Einer jungen, kinderlosen Witwe ist gewöhnlich zuzumuten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, die ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entspricht. Dabei kann die soziale Stellung nicht entscheidend sein. Weder trifft einen hinterbliebenen Ehegatten aus einfachen Verhältnissen im Hinblick auf eine Arbeitsaufnahme eine erweiterte Schadensminderungspflicht, noch wird es in der Regel einer Witwe unzumutbar sein, nach dem Tod ihres Ehemannes wieder in ihrem ursprünglichen Beruf tätig zu werden, auch wenn dieser einer in der Ehe errungenen hervorgehobenen sozialen und gesellschaftlichen Stellung nicht in vollem Umfang entspricht; andererseits kann aber auch kein sozialer Abstieg verlangt werden. Erst recht kann ein Arbeitseinsatz bei gesundheitlicher Beeinträchtigung oder im Alter nicht gefordert werden. Zu berücksichtigen ist auch, ob überhaupt auf dem Arbeitsmarkt im Hinblick auf Alter und Vorbildung noch hinreichende Erfolgsaussicht für eine Arbeitsaufnahme besteht.
Rz. 101
Insgesamt muss die Frage, ob ein hinterbliebener Ehegatte im Rahmen einer Schadensminderungspflicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verpflichtet ist, rein schadensersatzrechtlich und unabhängig von den Rechtsgrundsätzen beurteilt werden, die im Unterhaltsrecht geschiedener Ehegatten aufgestellt worden sind; im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB können nicht dieselben strengen Maßstäbe angelegt werden, wie sie für einen geschiedenen Ehegatten gelten. Die Verschärfung des Familienrechts zu Lasten erziehender Frauen darf daran nichts ändern.
Rz. 102
Soweit der hinterbliebene Ehegatte seinen Unterhaltsersatzanspruch im Sinne von § 844 Abs. 2 BGB wegen Mitverschuldens des Getöteten am Unfall im Hinblick auf § 846 BGB nur im Rahmen einer Bruchteilshaftung vom Schädiger ersetzt bekommt, steht ihm hinsichtlich dessen, was er selbst durch nach dem Tode des Unterhaltsverpflichteten aufgenommene Erwerbstätigkeit verdient oder was er verdienen könnte, wenn er seiner Schadensminderungspflicht durch eine berufliche Tätigkeit nachkäme, ein Quotenvorrecht zu: Sein (tatsächlich erzieltes oder wegen Verletzung der Schadensminderungspflicht fiktiv anzusetzendes) Erwerbseinkommen ist in erster Linie auf denjenigen Teil des Unterhaltsschadens zu verrechnen, der vom Schädiger im Rahmen der Bruchteilshaftung nicht gedeckt ist, sondern beim Geschädigten verbleibt. Nur soweit der Hinterbliebene mehr verdient, ermäßigt sich entsprechend der vom Schädiger zu leis...