Rz. 30
Ist die gemeinsame elterliche Sorge nach Prüfung durch das Gericht nicht aufrechtzuerhalten, ist in zweiter Stufe zu prüfen, ob die Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Die folgenden Kriterien[55] sind dabei zu prüfen, ohne dass eine Rangfolge besteht:[56]
▪ | Förderungsprinzip: Welcher Elternteil ist am besten zur Erziehung und Betreuung des Kindes geeignet und von wem kann es voraussichtlich die meiste Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit erwarten?[57] |
▪ | Bindungen des Kindes an Eltern und Geschwister: Wesentliches Kriterium für eine Entscheidung kann sein, inwieweit die jeweiligen Bindungen zu den Elternteilen und ggf. zu den Geschwistern gewachsen und gefestigt sind.[58] |
▪ | Kontinuitätsgrundsatz: Bei wem ist die Stabilität, die Gleichmäßigkeit und Einheitlichkeit der Erziehung am ehesten gewährleistet?[59] Auf den Grundgedanken der Kontinuität kann sich nach ständiger Rechtsprechung derjenige nicht berufen, dessen Zusammenleben sich auf rechtswidriger Kindesentziehung gründet. Gleichwohl hat das BVerfG[60] festgestellt, dass "die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils (etwa der eigenmächtigen Mitnahme des Kindes bei der Trennung), sondern vorrangig am Kindeswohl unter besonderer Beachtung des Kontinuitätsgrundsatzes zu orientieren ist". |
▪ | Kindeswille: Etwa ab Erreichen des 12. Lebensjahres wird der Entscheidung des Kindes eine entscheidende Bedeutung zugemessen.[61] Dies ist Ausdruck der verfassungsrechtlich zu beachtenden Selbstbestimmung des Kindes. Das BVerfG[62] hat allerdings erklärt, dass bei einem unter 14 Jahre alten Kind festzustellen ist, ob der Wille "geprägt ist durch (eine) momentane oder manipulierte – möglicherweise durch Geschenke beeinflusste – Einstellung". |
▪ | Bindungstoleranz des jeweiligen Elternteils: Die Gewährung und Förderung des Umgangsrechtes kann schließlich ein entscheidendes Kriterium bei der Zuteilung der elterlichen Sorge sein.[63] Die Beeinflussung des Kindes und die Unterbindung von Umgangsrechtskontakten zum anderen Elternteil stellt regelmäßig eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Kindeswohls dar, die auch Auswirkungen auf die Regelung der elterlichen Sorge haben kann.[64] |
Rz. 31
Nach den zu beachtenden Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit[65] und des geringstmöglichen Eingriffs kommt häufig die Übertragung eines Teilbereiches der elterlichen Sorge in Betracht.[66] Streiten Parteien z.B. um den (künftigen) Lebensmittelpunkt des Kindes und ist im Übrigen das Verhältnis der Eltern zueinander nicht zerrüttet, so dass der Streit keine Gefährdung des Kindeswohls bewirkt, genügt es, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf eines der Elternteile zu übertragen.[67]
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