Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 77
Gem. § 113 InsO kann ein Dienstverhältnis, bei dem der Insolvenzschuldner der Dienstberechtigte ist, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Dienstnehmer ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Kündigungsausschluss mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden, sofern nicht (aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder gesetzlicher Bestimmung) eine kürzere Frist maßgeblich ist. Die Norm bewirkt Zweierlei:
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Zum einen schafft sie eine Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung von Arbeits- und Dienstverhältnissen, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht ordentlich kündbar waren, sei es, weil das Vertragsverhältnis befristet oder auflösend bedingt ist oder, weil das Recht zur ordentlichen Kündigung einzel- oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist. |
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Zum anderen werden Kündigungsfristen mit einer Dauer von über drei Monaten verkürzt auf drei Monate zum Monatsende. |
Rz. 78
§ 113 InsO dürfte daneben auch tarifvertragliche Regelungen verdrängen, nach denen der Ausspruch einer Kündigung nur unter qualifizierten Voraussetzungen möglich ist, beispielsweise der Zustimmung des Betriebsrats oder der Zahlung einer Abfindung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verkürzung der Kündigungsfristen und insbesondere gegen die Verdrängung tariflicher Kündigungsausschlüsse im Hinblick auf die Tarifautonomie bestehen nach Auffassung des BAG und des BVerfG nicht.
Im Unterschied zu den einzel- und tarifvertraglichen Kündigungsbeschränkungen sind gesetzliche Kündigungsbeschränkungen durch den Insolvenzverwalter jedoch größtenteils zu beachten. Hier ist jeweils nach den einschlägigen Spezialvorschriften zu unterscheiden: Bedarf die Kündigung der Genehmigung einer Behörde, etwa bei Mitarbeitern in Elternzeit, Schwangeren oder bei schwerbehinderten Mitarbeitern, so ist diese zuvor durch den Insolvenzverwalter einzuholen, vgl. §§ 18 Abs. 1 BEEG, 9 Abs. 1 MuSchG, 168 SGB IX.
Bei Personen mit amtsbezogenem Kündigungsschutz, z.B. Datenschutzbeauftragte (§ 6 Abs. 4 BDSG), Immissionsschutzbeauftragte (§ 58 Abs. 2 BISchG), Abgeordnete des Bundestags (§ 2 Abs. 3 AbG) oder bei einigen kommunalen Mandatsträgern (z.B. §§ 35a HGO, 44 Abs. 1 GO NRW, 32 GO Baden-Württemberg) ist anhand der jeweiligen Spezialvorschrift zu prüfen, ob eine Kündigung wegen insolvenzbedingten Wegfalls des Arbeitsplatzes nach Abberufung dann ordentlich oder nur außerordentlich mit Auslauffrist ausgesprochen werden kann. Der Schutz dieser Personen ist grundsätzlich insolvenzfest.
Bei Auszubildenden gilt gleichfalls der gesetzliche Sonderkündigungsschutz nach § 22 Abs. 2 BBiG. Hier ist zu prüfen, ob die Ausbildung in der Insolvenz noch fortgeführt oder der Zweck der Ausbildung wegen Betriebseinschränkung oder Stilllegung nicht mehr erreicht und das Ausbildungsverhältnis daher ausnahmsweise gekündigt werden kann.
Festzuhalten ist damit, dass ein besonderer Kündigungsgrund der Insolvenz oder Sanierung nicht geschaffen wird. In der Insolvenz wird es zwar regelmäßig hinreichend Anlass zu betriebsbedingten Kündigungen geben, die Gründe hierfür müssen sich jedoch stets am § 1 Abs. 2 KSchG messen lassen, der uneingeschränkt Anwendung findet. § 113 InsO bedingt den Kündigungsschutz nicht ab und trifft insofern auch keine Sonderregelung.
§ 113 InsO statuiert darüber hinaus eine insolvenzrechtliche Kündigungshöchstfrist von drei Monaten zum Monatsende.
Rz. 79
§ 113 InsO ist gem. § 119 InsO auch zwingendes Recht, d.h., die verkürzte Kündigungsfrist kann im Vorhinein weder ausgeschlossen noch eingeschränkt werden. Da § 113 InsO, wie gezeigt, auch tarifvertragliche Vereinbarungen verdrängt, können auch die Tarifvertragsparteien keine abweichende Regelung für den Insolvenzfall treffen. Selbstverständlich muss aber der Insolvenzverwalter von seinem besonderen Kündigungsrecht keinen Gebrauch machen, etwa, weil er den Betrieb über den Insolvenzgeldzeitraum hinaus fortführen will.
Rz. 80
Ist auf ein Arbeitsverhältnis dagegen ohnehin eine Kündigungsfrist von maximal drei Monaten anwendbar, trifft § 113 InsO keine Regelung. Die früher aufgeworfene Frage, ob dann § 22 KO mit der Folge greife, dass die gesetzliche Frist der (tarif-)vertraglichen Frist dann vorgehe, wenn sie kürzer sei, hat das BAG verneint. § 113 InsO habe die bisherige Vorschrift des § 22 KO vollständig ersetzt.
Rz. 81
Praxishinweis
In der Praxis werden die Eröffnungsbeschlüsse häufig erst zum Monatsersten gefasst. Dies erfolgt nach Absprache zwischen Insolvenzverwalter und Gericht, um den Insolvenzgeldzeitraum voll auszuschöpfen. Dadurch versäumen die Insolvenzverwalter aber gleichzeitig die erste Kündigungsmöglichkeit, sodass sie fristgerecht nur noch zum Ende des vierten Monats nach der Eröffnung kündigen können. Die Verwalter sind daher vereinzelt schon dazu übergegangen, die Verfahren drei Arbeitstage vor dem Monatsersten eröffnen zu lassen, damit sie die Kündigungen noch rechtzeitig zustellen können. Dadurch verlieren sie das Insol...