Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 59
Da die Arbeitsverwaltung erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Hinblick auf das Insolvenzgeld tätig werden wird, stellt sich die Frage der Überbrückung des Zeitraums der vorläufigen Insolvenz und der späteren Bearbeitungsdauer. Die Arbeitnehmer können sich unter Umständen einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld auszahlen lassen, vgl. § 168 SGB III; der vorläufige Verwalter kann auch das Insolvenzgeld für "seine" Belegschaft über eine Bank vorfinanzieren lassen, vgl. § 170 SGB III. Letzteres ist gängige Praxis.
a) Vorschussregelung des § 168 SGB III
Rz. 60
Das Insolvenzgeld kann bevorschusst werden, um den Arbeitnehmern, die u.U. bereits seit längerem keine Vergütung mehr erhalten haben, ein Abwarten der Bearbeitungsfristen (die durchschnittliche Bearbeitungsfrist kann je nach Dienststelle ca. sechs Wochen betragen) nicht zuzumuten. Die Höhe der Vorschüsse liegt im billigen Ermessen der Arbeitsverwaltung.
Rz. 61
Während die Vorschusszahlung in der Vergangenheit (§ 141 AFG) daran gebunden war,
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dass das Insolvenzereignis bereits eingetreten, |
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dass das Arbeitsverhältnis bereits beendet war und |
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dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Insolvenzgeld mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllt werden, |
hat der Gesetzgeber auf Anregung des BSG von ersterem Kriterium Abstand genommen. Gem. § 168 Nr. 1 SGB III kann der Vorschuss nunmehr bereits dann gewährt werden, wenn nur die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt wurde.
Rz. 62
Allerdings ist der Gesetzgeber nicht davon abgerückt, dass in jedem Falle das Arbeitsverhältnis beendet worden sein muss (§ 168 Nr. 2 SGB III). Die Regelung wurde daher zu Recht kritisiert, da es der Fortführung eines Unternehmens widerspricht, wenn die Arbeitsverhältnisse vorzeitig beendet werden.
Rz. 63
Andererseits sollte das Insolvenzgeld nicht nur bei der Liquidation von Unternehmen eingesetzt werden, sondern es besteht, da es ausschließlich unternehmensseitig finanziert ist, eine gewisse Berechtigung, es durchaus als Sanierungsinstrumentarium für Unternehmen einzusetzen. Da eine weitere Gesetzesänderung aber offenbar nicht geplant ist, behilft die Praxis sich einstweilen mit der sog. "Vorfinanzierung" von Insolvenzgeld.
b) "Vorfinanzierung" von Insolvenzgeld gem. § 170 Abs. 4 SGB III
Rz. 64
Bei der Vorfinanzierung gewährt nicht die Arbeitsverwaltung den Vorschuss aus eigenen Mitteln, sondern der Verwalter handelt mit seiner Hausbank, einer anderen Bank oder einem Betriebserwerber einen Kredit in Höhe der künftigen Insolvenzgeldansprüche aus. Daraus bezahlt er die Nettolöhne im Insolvenzgeldzeitraum. Im Gegenzug treten die betroffenen Arbeitnehmer ihren Anspruch auf Insolvenzgeld unwiderruflich an den Finanzierenden ab. Die Abtretbarkeit und Pfändbarkeit war bereits nach § 141k Abs. 2a AFG bekannt. Durch § 170 Abs. 4 SGB III wurde sie durch folgende Voraussetzungen beschränkt:
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die Zustimmung durch die Agenturen für Arbeit (Ausschlussgrund!), die unbedingt vor der Verfügung der Arbeitnehmer über ihre Forderungen auf Arbeitsentgelt erteilt worden sein muss, anderenfalls sind diese unwirksam; eine positive Fortführungsprognose. Hier gibt in aller Regel der vorläufige Insolvenzverwalter eine schriftliche Stellungnahme ab; |
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den voraussichtlichen Erhalt eines erheblichen Anteils der Arbeitsplätze. Als erheblich wird in der Regel der Verbleib von Arbeitsplätzen im Mindestumfang einer Personalmaßnahme nach § 112a Abs. 1 BetrVG betrachtet. |
Das Nähere regeln die Fachlichen Weisungen für Insolvenzgeld.
Rz. 65
Je nach Insolvenzverwalter und Dienststelle der Arbeitsverwaltung werden die Zustimmungen inzwischen binnen kürzester Frist erteilt, sodass die Vorfinanzierung inzwischen ein gängiges Instrumentarium zur Zwischenfinanzierung der Löhne geworden ist. Ungeklärt ist die Rechtslage noch für den Fall, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor der gerichtlichen Entscheidung zurückgenommen wurde. Die Rücknahme eines solchen Antrags ist jederzeit möglich und beendet mit Eingang bei Gericht das vorläufige Verfahren und damit auch die Befugnisse des vorläufigen Verwalters. In diesem Fall gelangt der Insolvenzgeldanspruch nicht zur Entstehung, denn die richterliche Entscheidung als Insolvenzereignis gem. § 165 SGB III entfällt. Ob § 165 Nr. 3 SGB III greift, bleibt abzuwarten. War das vorfinanzierte Insolvenzgeld an die Arbeitnehmer aber – wie meist, wenn der vorläufige Verwalter auf die Arbeitskräfte angewiesen ist – vorbehaltlos gezahlt worden, so hat dieses Problem die Arbeitnehmer nicht zu bekümmern. Dieses Risiko verbleibt bei der vorfinanzierenden Bank, wenn keine andere Abrede getroffen wurde.