Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 70
Der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist im Streitfall vom Versicherungsnehmer gemäß § 286 ZPO zu beweisen, also mit dem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet. Die Vorlage eines Rentenbescheides der BfA reicht zum Nachweis der Berufsunfähigkeit nicht aus. Auch haben Feststellungen in einem Verfahren gegen die gesetzliche Rentenversicherung keine Bindungswirkung. Die dort geprüften Gesichtspunkte haben wenig mit den Voraussetzungen des Leistungsfalls in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung zu tun (vgl. auch Rdn 6).
Rz. 71
Im Rechtsstreit muss der klagende Versicherungsnehmer die von ihm bzw. der versicherten Person ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausprägung substantiiert darlegen. Erforderlich ist eine konkrete Arbeitsbeschreibung nach Art, Umfang und Häufigkeit der anfallenden Tätigkeiten; die Angabe eines Berufstyps und der Arbeitszeit reichen nicht aus (siehe Rdn 20, 47 ff.). Allerdings dürfen die Anforderungen an eine Substantiierung nicht überspannt werden und es ist im Blick zu halten, dass die Angaben in erster Linie dazu dienen, einem gerichtlich bestellten Sachverständigen eine Grundlage zu bieten, um hinsichtlich der beruflichen Anforderungen medizinische Feststellungen zu treffen. Hierbei genügt eine Zusammenfassung von Stichworten, die einem Dritten die Möglichkeit geben, die konkrete Berufstätigkeit zu erkennen.
Rz. 72
Einer konkreten und detaillierten Darlegung der Berufstätigkeit des Versicherten bedarf es ausnahmsweise nur dann nicht, wenn die gesundheitlichen Defizite so gravierend sind, dass der Versicherte keinerlei maßgebende Funktionen des in Rede stehenden Berufes mehr auszuüben in der Lage ist, oder wenn er überhaupt nicht mehr in der Lage ist, irgendeinen Beruf auszuüben.
Rz. 73
Reichen die schriftsätzlichen Angaben für die Darlegung der Berufsunfähigkeit nicht aus, so ist der Kläger durch das Gericht darauf hinzuweisen. Für den Umfang der Hinweisverpflichtung kommt es jeweils auf den Einzelfall an. Ein Verstoß gegen diese Hinweispflicht aus § 139 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 ZPO begründet einen Verfahrensmangel und ggf. gleichzeitig eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör. Hat der beklagte Versicherer bereits die mangelnde Substantiierung des Vortrags des Versicherungsnehmers gerügt, muss das Gericht jedoch keinen Hinweis erteilen. Der klagende Versicherungsnehmer sollte daher von sich aus gehalten sein, umfassend vorzutragen.
Rz. 74
Die Fortsetzung der Berufsausübung kann im Einzelfall ein Indiz dafür sein, dass keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, auch wenn die Bedingungswerke regelmäßig nicht verlangen, dass der Versicherte seinen Beruf nicht weiter ausübt, sondern nur darauf abstellen, dass die festgestellten Gesundheitsbeeinträchtigungen die Fortsetzung der Tätigkeit vernünftigerweise und im Rahmen der Zumutbarkeit nicht mehr gestatten. Allerdings stellt die faktische Fortführung der Tätigkeit ein starkes Indiz dafür dar, dass die behauptete Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers tatsächlich nicht gegeben ist. Die indizielle Bedeutung der Fortsetzung der Berufstätigkeit kann dadurch entkräftet werden, dass der Versicherungsnehmer triftige Gründe dafür aufzeigt.
Beispiel
Arbeitet der Versicherte in der elterlichen Bäckerei und Konditorei und ist die Anstellung eines neuen Bäckergesellen/Bäckermeisters als Ersatzkraft finanziell für den Betrieb nicht verkraftbar, hat das Weiterarbeiten keine indizielle Bedeutung, da es einen triftigen Grund hat.
Rz. 75
Ergibt sich während eines Rechtsstreits eine weitere Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der versicherten Person, kann auch mit dieser Verschlechterung, die im Bestreitensfall vom Versicherungsnehmer zu beweisen ist, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit begründet werden. Problematisch ist dann aber die Fälligkeit der Leistung, da der Versicherer erst die Möglichkeit haben muss, eine eigene Prüfung durchzuführen (vgl. auch Rdn 69).