Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 169
Es gilt im Bereich der Verweisung eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Ist eine abstrakte Verweisungsklausel vereinbart, muss der Versicherungsnehmer für die Schlüssigkeit seiner Klage nicht nur darlegen, dass er seinen Beruf in seiner bisherigen Ausgestaltung nicht mehr ausüben kann. Er muss vielmehr zusätzlich vortragen, dass er auch keine anderen Tätigkeiten mehr verrichten kann, die seiner Ausbildung, seinen Fähigkeiten und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Dafür genügt allerdings zunächst ein summarischer Vortrag.
Rz. 170
Die substantiierte Darlegung möglicher Vergleichsberufe ist sodann Sache des Versicherers. Dieser muss Vergleichsberufe bezüglich der sie jeweils prägenden Merkmale näher konkretisieren, insbesondere erforderliche Vorbildung, übliche Arbeitsbedingungen, z.B. Arbeitsplatzverhältnisse, Arbeitszeiten, übliche Entlohnung, etwaig erforderliche Fähigkeiten oder körperliche Kräfte, sowie den erforderlichen Einsatz technischer Hilfsmittel. Erst dadurch wird der Vortrag im Prozess schlüssig. Der Umfang der Darlegungslast des Versicherers zu den prägenden Merkmalen des Vergleichsberufes hängt dabei jeweils davon ab, was der Versicherer beim Versicherungsnehmer insoweit an Kenntnissen voraussetzen kann.
Rz. 171
Dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gleichwohl der Versicherte im Rahmen der abstrakten Verweisung vortragen und beweisen muss, dass er nicht auf eine andere Tätigkeit, die er noch nicht ausübt, verwiesen werden darf. Diesen Negativbeweis kann er jedoch nur dann ordnungsgemäß antreten, wenn der Versicherer zuvor die prägenden Merkmale des von ihm behaupteten Verweisungsberufs dargelegt hat. Der Negativbeweis umfasst nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 BUZ, dass kein Verweisungsberuf existiert, welcher mit den bislang erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten so ausgeübt werden könnte oder dass ein anderer wegen Kenntnissen und Fähigkeiten in Betracht kommender Beruf wegen der damit einhergehenden gesundheitlichen Nachteile nicht ausgeübt werden kann bzw. die Lebensstellung nicht wahrt. Der beweisbelastete Versicherungsnehmer kann insoweit das Bestreiten des Versicherers bezüglich seiner Berufsunfähigkeit mit substantiierten Beweisangeboten bekämpfen; diese sind nicht als Ausforschungsversuch zu werten. Genügt der Versicherungsnehmer seiner Vortragslast nicht, hat das Gericht gemäß § 139 ZPO Veranlassung zu einem entsprechenden Hinweis.
Wichtig
Der Versicherungsnehmer muss erst dann, wenn der Versicherer einen (von ihm nicht ausgeübten) Vergleichsberuf im Rahmen einer abstrakten Verweisungsmöglichkeit hinreichend aufgezeigt hat, beweisen, dass er diesen Beruf nicht ausüben kann oder dass eine Vergleichbarkeit mit seinem zuletzt ausgeübten Beruf nicht gegeben ist.
Rz. 172
Diese Darlegungs- und Beweislast gilt dann nicht, wenn der Versicherte, insbesondere im Rahmen einer konkreten Verweisung, eine von ihm tatsächlich bereits ausgeübte anderweitige Tätigkeit nicht als Vergleichsberuf gelten lassen will. Übt oder übte der Versicherungsnehmer eine vom Versicherer als Vergleichsberuf genannte Tätigkeit bereits aus, dann hat er Kenntnis davon, welche Anforderungen diese Tätigkeit an ihn stellt. In diesem Fall obliegt es ihm aufgrund seines Wissensvorsprungs deshalb von Anfang an vorzutragen und ggf. zu beweisen, dass und warum er dieser Tätigkeit nicht aufgrund seiner vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen gewachsen ist und sie demnach nicht sachgerecht und anforderungsgemäß ausüben kann. Das Gleiche gilt, wenn er geltend machen will, dass sie aus anderen Gründen mit seinem zuvor ausgeübten Beruf nicht vergleichbar ist. Dies gilt dem Grunde nach auch für Tätigkeiten, die der Versicherte zwischenzeitlich wieder aufgegeben hat oder wenn es sich um einen Nischen- bzw. Schonarbeitsplatz gehandelt hat.
Rz. 173
Der Versicherte genügt seiner Darlegungslast zunächst dadurch, dass er behauptet und unter Beweis stellt, der tatsächlich ausgeübte Beruf erfordere eine abgeschlossene Ausbildung, die aber ganz anders geartet sei, als seine Ausbildung im erlernten Beruf, welche ihm auch keine Kenntnisse und Erfahrungen vermittelt habe, die bei Ausübung der neuen Tätigkeit nutzbar wären.
Beispiele
▪ |
Hat ein ausgebildeter Monteur in der von seiner Ehefrau geführten Videothek gelegentlich – ein bis höchstens zwei Stunden täglich – ausgeholfen, dann obliegt es ihm, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch für diese Tätigkeit darzulegen und zu beweisen. |
▪ |
War der Versicherte zwei Jahre lang bei höherer Entlohnung, als er sie zuvor im erlernten Masseurberuf erzielen konnte, als Automobilverkäufer tätig, muss er dazu vortragen und ggf. nachweisen, warum er auch diesen Beruf nicht mehr ausüben kann. |
Rz. 174
Die vorbezeichneten Ausnahmen von den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast im Bereich der Verweisung greifen nicht, wenn der Versicherungsnehmer die andere Tätigkeit noch nicht ausübt, sondern sich bish...