Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 274
Eine befristete Leistungszusage, die für den Versicherungsnehmer eindeutig erkennbar lediglich eine Kulanzentscheidung darstellt, stellt kein Anerkenntnis dar, das den Versicherer über den zugesagten Zeitraum hinaus binden würde. Sofern der Charakter als Kulanzentscheidung für den Versicherungsnehmer nicht ausreichend ersichtlich ist, ist im Zweifel von einem Anerkenntnis auszugehen. Hat ein Versicherer aber trotz Vorliegens der entsprechenden Voraussetzungen seine Leistungspflicht nicht anerkannt, darf er seine vermeintlich "aus Kulanz" erbrachten Leistungen nicht ohne Einhaltung des Nachprüfungsverfahrens einstellen. Diese Situation entspricht derjenigen beim gebotenen bzw. fingierten Anerkenntnis und bei der treuwidrigen Vereinbarung. Selbst die Formulierung "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" ist nicht immer ausreichend.
Rz. 275
§ 9 MB BUV 22 bzw. § 6 MB BUZ 22 hindern den Versicherer nicht, im Einvernehmen mit dem Versicherungsnehmer den Besonderheiten des Falles – also z.B. einem Streit oder einer Ungewissheit über das Vorliegen der vertraglichen Voraussetzungen – dadurch Rechnung zu tragen, dass für eine gewisse Zeit Leistungen erbracht werden und nach Ablauf der Vereinbarung die Berufsunfähigkeit abschließend geprüft wird. In einer solchen Vereinbarung liegt grundsätzlich kein Anerkenntnis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit.
Rz. 276
Der Versicherer ist jedoch gemäß § 242 BGB in besonderer Weise gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers auszunutzen. Wann einem Versicherer eine treuwidrige Ausnutzung seiner überlegenen Verhandlungsposition vorzuwerfen ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Berufsunfähigkeitsrente für den Versicherungsnehmer häufig existenzielle Bedeutung hat. Wenn eine Befristung aber mit dem Versicherungsnehmer ausgehandelt wird und gerade den Zweck verfolgt, Unsicherheiten über den gesundheitlichen Zustand des Versicherten gerecht zu werden und ihm finanzielle Sicherheit für die Dauer einer erfolgversprechenden Behandlung oder einer Wiedereingliederungs- oder Weiterbildungsmaßnahme zu verschaffen, zu der der Versicherungsnehmer bereit ist, verstößt sie nicht gegen Treu und Glauben.
Hinweis
Der Versicherer handelt jedoch objektiv treuwidrig, wenn er bei naheliegender Berufsunfähigkeit die ernsthafte Prüfung seiner Leistungspflicht durch das Angebot einer befristeten Kulanzleistung hinausschiebt und so das gebotene Anerkenntnis unterläuft. Vereinbarungen mit derartigen Nachteilen für den Versicherten sind nur in engen Grenzen wirksam möglich. Sie setzen eine noch unklare Sach- und Rechtslage voraus und erfordern einen klaren, unmissverständlichen Hinweis des Versicherers auf die Einschränkung der Rechte des Versicherten durch Abschluss der Vereinbarung.
Rz. 277
Eine Rechtsunwirksamkeit einer Vereinbarung über die Leistungspflicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB kann in Fällen anzunehmen sein, in denen objektiv gegen die Leistungspflicht des Versicherers keine Bedenken bestehen können.