Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 347
Der Versicherer hat Verweisungsmöglichkeiten, die ihm schon bei Abgabe des Leistungsanerkenntnisses zur Verfügung standen und die er nicht genutzt hat, auch für die Zukunft verloren. Die Regelung des § 9 Abs. 1 MB BUV 22/§ 6 Abs. 1 MB BUZ 22 eröffnet dem Versicherer bei unverändertem Gesundheitszustand des Versicherten deshalb nur dann den Weg zu einer Einstellung der nach seinem Anerkenntnis zu erbringenden Leistung, wenn der Versicherte hiernach neue berufliche Fähigkeiten erworben hat und aufgrund dieser in der Lage ist, eine andere Tätigkeit auszuüben, die den Anforderungen des § 2 Abs. 1 MB BUV/BUZ 22 entspricht.
Rz. 348
Ist dies in den AVB nicht vorbehalten worden, darf der Versicherer den Versicherten im Nachprüfungsverfahren nicht auf einen Vergleichsberuf wegen später hinzukommender Kenntnisse und Fähigkeiten verweisen. Seit der Schaffung des § 7 Abs. 1 BB-BUZ 84 und nach sämtlichen neueren Bedingungswerken, wie auch den aktuellen Musterbedingungen des GDV, dürfen jedoch nach Eintritt der Berufsunfähigkeit neu erworbene berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Überprüfung der Berufsunfähigkeit berücksichtigt werden. § 9 Abs. 1 MB BUV 22/§ 6 Abs. 1 BUZ 22 regelt insoweit, dass im Nachprüfungsverfahren erneut geprüft werden kann, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt (konkrete Verweisung) bzw. ausüben kann (abstrakte Verweisung), auf die sie hätte im Rahmen der Erstprüfung verweisen werden können, wobei "neu erworbene berufliche Fähigkeiten" ausdrücklich zu berücksichtigen sind.
Hinweis
Für die Verweisbarkeit auf eine andere Tätigkeit gelten im Nachprüfungsverfahren grundsätzlich dieselben Maßstäbe wie bei der Erstprüfung. Es wird die vor dem Anerkenntnis zuletzt (in gesunden Tagen) ausgeübte Tätigkeit mit der Tätigkeit verglichen, auf die der Versicherungsnehmer verwiesen werden soll. Häufig wird die Verweisbarkeit die Hauptproblematik im Nachprüfungsverfahren sein, sofern der Versicherte zwischenzeitlich einer anderweitigen Beschäftigung nachgeht.
Rz. 349
Der Versicherte hat jedoch in der Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls – mangels entsprechender Vereinbarung – keine Obliegenheit, neue berufsrelevante Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, er braucht sich insbesondere nicht umschulen lassen. Hat der Versicherte aber eine erfolgreiche Umschulung absolviert und eine bedingungsgemäß vergleichbare Stellung gefunden, kann auf diese verwiesen werden, auch wenn keine Verpflichtung zur Umschulung bestand. Ist dem Versicherten eine absolvierte überobligatorische Umschulung nur durch den Einsatz erheblicher eigener finanzieller Mittel möglich gewesen, kann jedoch etwas anderes gelten. Auch durch zwischenzeitliche berufliche Tätigkeit erworbene Kenntnisse und Erfahrungen können zu einer erweiterten Verweisbarkeit führen. Erfolgt der Erwerb neuer beruflicher Fertigkeiten nach dem Anerkenntnis aber vor dem Schluss der mündlichen Verhandlungen des Vorprozesses, kann der Versicherer nach Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens mit Erfolg eine Vollstreckungsgegenklage wegen dieser Umschulung erheben.
Rz. 350
Wenn der freiwillige Erwerb neuer beruflicher Fähigkeiten den Versicherten befähigt, eine Tätigkeit auszuüben, auf die bedingungsgemäß im Rahmen konkreter Verweisung verwiesen werden kann, darf der Versicherer von seinem Recht zur Leistungseinstellung allerdings erst dann Gebrauch machen, wenn der Versicherte auch tatsächlich einen gesicherten Arbeitsplatz in einem Vergleichsberuf erlangt hat oder sich um einen solchen nicht in zumutbarer Weise bemüht. Dabei ist der Beruf solange als nicht gesichert anzusehen, wie die Stelle befristet ist oder der Versicherte wegen gesundheitsbedingten Einschränkungen bei seiner derzeitigen Tätigkeit auf das Wohlwollen oder freiwillige Leistungen seines Arbeitgebers oder Dritter angewiesen ist.
Rz. 351
Hat der Versicherte umgekehrt Fähigkeiten und Kenntnisse wegen seiner beruflichen Auszeit verloren, kommt es darauf an, ob er mit einer angemessenen Einarbeitungszeit oder einer Schulungsmaßnahme wieder Anschluss an gewandelte Arbeitsbedingungen finden kann oder aber die erforderlichen Maßnahmen in Richtung einer umfänglicheren Fortbildung bzw. neuen Ausbildung gehen. Ist letzteres der Fall, besteht die Berufsunfähigkeit fort, da er zum Erwerb neuer Kenntnisse und Fähigkeiten auch dann nicht verpflichtet ist, wenn es um geänderte Anforderungen des ehemaligen Berufes geht.
Rz. 352
Auch die Einkünfte aus der neuen Tätigkeit müssen denen einer zulässigen Verweisung gemäß der Erstprüfung entsprechen. Sofern die frühere und die neue Arbeitszeit voneinander abweichen, ist der jeweilige Stundenlohn zu berechnen, damit ein Vergleichsmaßstab hergestellt werden kann (vgl. hierzu auch Rdn 203).
Es gibt zudem Klauseln, die bezüglich des Einkommens aus der Verweisungstätigkeit bereits Grenzen der Zumutbarkeit vorgeben, so etwa folgende Klausel:
Zitat
"Wir können auch prüfen, ob die versiche...