Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 230
Im Einzelfall kann es dem Versicherer nach den Grundsätzen der versicherungsrechtlichen Vertrauenshaftung verwehrt sein, sich auf eine Verweisung des Versicherten zu berufen. Nach den Grundsätzen der von der Rechtsprechung vor Geltung des VVG 2008 entwickelten versicherungsrechtlichen Vertrauenshaftung hat ein Versicherer für fehlerhafte Auskünfte bzw. Beratungen und pflichtwidriges Unterlassen eines Versicherungsagenten einzutreten, sofern der Versicherungsnehmer auf die Richtigkeit der Angaben vertraut hat und ihn kein erhebliches eigenes Verschulden an seinem Irrtum trifft. Im Rahmen dieser Vertrauenshaftung muss der Versicherer Versicherungsschutz gemäß den irrigen Vorstellungen des Versicherungsnehmers gewähren.
Der Anspruch stellt einen Vertrags- und keinen Schadensersatzanspruch dar. Kann der Versicherungsnehmer beweisen, dass ihm der Agent bei den Vertragsverhandlungen erklärt hat, eine Rente werde (ohne weitere Einschränkungen) bei Berufsunfähigkeit im ausgeübten Beruf gezahlt, schließt diese inhaltlich falsche Belehrung eine Verweisung aus. Dabei ist zweifelhaft, ob ein erhebliches Eigenverschulden des Versicherungsnehmers bejaht werden kann, wenn ihm im Zeitpunkt der Falschberatung die maßgeblichen AVB nicht vorliegen. Ein erhebliches Eigenverschulden ist jedoch dann anzunehmen, wenn die Versicherungsbedingungen vorliegen und inhaltlich eindeutige anderweitige Regelungen beinhalten. Der Versicherer hat nach diesen Grundsätzen Versicherungsschutz auch dann zu gewähren, wenn der Versicherungsagent zu solchen Erklärungen nicht bevollmächtigt war oder ihn kein Verschulden an der Fehlinformation trifft.
Rz. 231
Jenseits der gewohnheitsrechtlichen Erfüllungshaftung sind durch das neue VVG Schadensersatzansprüche gegen den Versicherer wegen unzureichender Beratung, wegen nicht verständlicher Aufklärung oder wegen während des Vertragslaufs fehlender Aufklärung in § 6 Abs. 5 VVG ausdrücklich normiert. Auch gegen den Versicherungsvermittler – sowohl Versicherungsvertreter als auch Versicherungsmakler – werden Ersatzansprüche in § 63 VVG geregelt. Beide haften wegen fehlender Beratung, Aufklärung und wegen fehlender Dokumentation i.S.v. §§ 60, 61 VVG. Es ist angesichts der stattgefundenen Normierung fraglich, ob für die gewohnheitsrechtliche Erfüllungshaftung überhaupt noch Platz ist.