Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 480
Der Versicherer ist sowohl hinsichtlich der Täuschung als auch hinsichtlich eines arglistigen Handelns des Versicherungsnehmers beweisbelastet. Der Versicherer muss nachweisen, dass der Versicherungsnehmer durch die unrichtigen Angaben auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur mit erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Allein mit unrichtigen Angaben bei der Antragsaufnahme ist die Arglist noch nicht erwiesen. Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau aller Umstände.
Rz. 481
Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, ist in der Praxis meist nur ein Indizienbeweis möglich. Für ein solches Bewusstsein des Versicherungsnehmers spricht, wenn er schwere, chronische oder schadengeneigte oder immer wieder auftretende, zahlreiche oder dauerhafte Erkrankungen bzw. gesundheitliche Beeinträchtigungen verschweigt oder solche, die zu erheblichen Einschränkungen seines Alltags geführt haben und/oder die ihm offensichtlich erheblich für das versicherte Risiko erschienen sein mussten. Beim Verschweigen leichterer Erkrankungen oder solcher, die vom Versicherungsnehmer als leichter angesehen werden, ist der Beweis dagegen in der Regel nicht erbracht. Gegen ein arglistiges Handeln spricht auch ein deutlicher zeitlicher Abstand zwischen dem Auftreten des verschwiegenen Umstandes und dem Antragszeitpunkt. Die Angabe einer belanglosen Erkrankung bei Verschweigen einer belangvollen kann indes ein Indiz für Arglist sein. Ein Indiz für Arglist kann auch sein, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung/den Beschwerden und dem Beruf vorliegt, also die Ausübung der Berufstätigkeit wegen bestimmter Beschwerden beeinträchtigt wurde oder die Beschwerden sogar erst durch die berufliche Tätigkeit hervorgerufen wurden.
Weitere Indizien für die Bewertung von Gesundheitsangaben in Hinblick auf Arglist können Art, Umfang und Bedeutung der unrichtigen und unvollständigen Angaben, das Persönlichkeitsbild des Versicherungsnehmers, sein Bildungsstand, besondere Umstände bei der Ausfüllung des Versicherungsantrages sowie die Art der in Rede stehenden Versicherung sein. Das Fehlen von plausiblen Erklärungen zu den Ursachen der Nichtangabe kann ein Indiz für die Arglist sein.
Rz. 482
Der Versicherungsnehmer muss dem Indizienbeweis des Versicherers im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast entgegentreten und die Umstände aus seiner Sphäre plausibel darlegen, die erklären, warum es zu den objektiv unrichtigen Angaben gekommen ist.
Hinweis
Fehlen plausible andere Erklärungen zu den Ursachen der Nichtangabe bestimmter Umstände und sind hinreichende Indizien für die Arglist des Versicherungsnehmers gegeben, ist der Beweis der Arglist durch den Versicherer erbracht.
Rz. 483
Es muss stets eine Gesamtschau der be- und entlastenden Indizien vorgenommen werden, wobei der Versicherungsnehmer die Gründe für die falsche Beantwortung darzutun und einer Nachprüfung zugänglich zu machen hat.
Beispiele
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Die Nichtangabe der fortdauernden Behandlung eines rezidivierenden Cervicalsyndroms und das Verschweigen der Krankschreibung wegen Urtikaria (Nesselsucht) am Tage der Beantragung des Versicherungsschutzes sind hinreichende Indizien für die Arglist des Versicherungsnehmers. |
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Hat der Versicherungsnehmer seine Tochter, die versicherte Person, vor der Antragsaufnahme nicht nach Krankheiten, Untersuchungen oder ärztlichen Beratungen befragt und hatte keine Kenntnis von deren Drogenkrankheit, kann er sich nicht darauf zurückziehen, er habe das Formular nach bestem Wissen beantwortet. Mit diesem Vortrag räumt er vielmehr selbst ein, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, ob seine Tochter in den letzten fünf Jahren vor Antragsaufnahme ärztlich untersucht, behandelt oder beraten worden ist. Verneint er dann die Antragsfragen bzw. weist den Agenten nicht darauf hin, dass er kein entsprechendes Wissen hat, ist der Vorwurf eines arglistigen Verhaltens durch Angaben "ins Blaue hinein" gerechtfertigt. |
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Das Verschweigen eines Heuschnupfens ist nicht unbedingt ein Indiz für ein arglistiges Verhalten eines Versicherungsnehmers. Zwar handelt es sich um eine chronische allergische Erkrankung. Sucht der Versicherungsnehmer deswegen jedoch nie einen Arzt auf, sondern nimmt die saisonal auftretende allergische Reaktion auf Pollenflug einfach hin, so handelt es sich aus seiner Sicht allenfalls um eine leichtere Erkrankung. |
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Ein arglistiges Verschweigen ist hinsichtlich Wirbelsäulenbeschwerden gegeben, wenn LWS-Beschwerden auf einem Beckentiefstand und einer reaktiven Lumbalskoliose beruhen, d.h. auf dauerhaftem orthopädischen Befunden mit hohem Risikopotential; es fanden zudem fachärztliche Behandlungen, Verschreibung einer Einlage, krankengymnastische Übungen und Krankschreibungen w... |