Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 32
Krankheit ist vom Grundsatz her ein regelwidriger physischer oder psychischer Zustand der versicherten Person bzw. eine Störung der Lebensvorgänge im Organismus, die geeignet ist, die Ausübung eines Berufs funktionell zu beeinträchtigen. Auf eine Behandlungsbedürftigkeit kommt es allerdings nicht an. Der Krankheitsbegriff ist schwer zu fassen, weil selbst in der Medizin teilweise keine einheitlichen Definitionen existieren. In der BUV relevant ist nur eine Krankheit (oder anderweitige bedingungsgemäße Gesundheitsstörung), die geeignet ist, die berufliche Leistungsfähigkeit mindestens im vereinbarten Prozentsatz zu beeinträchtigen; die Beweislast hierfür trägt der Versicherte. Von den medizinisch anerkannten Krankheiten sind grundsätzlich bloße diagnostische Einordnungen oder Beschreibungen von Symptomen zu unterscheiden. So soll z.B. ein "Burn-out-Syndrom" für sich genommen keine Krankheit im Sinne der BUV/BUZ sein. Hinter dieser Bezeichnung kann sich jedoch eine Depression und/oder eine andere psychische Erkrankung verbergen.
Ebenso ist die subjektive Schikane am Arbeitsplatz, das. sog. Mobbing, keine Krankheit. Wenn hieraus jedoch objektiv nach ärztlicher Befundung regelwidrige Zustände folgen, kann eine "Krankheit" angenommen werden.
Zu beachten ist im Hinblick auf den Krankheitsbegriff allerdings der stetige Wandel im medizinischen und gesellschaftlichen Verständnis, so dass sich durchaus auch neue Krankheitsbilder etablieren können. Letztlich ist die sprachliche Bezeichnung nicht entscheidend, sondern die Auswirkungen, die ein bestimmter gesundheitlicher Zustand – egal, wie dieser benannt wird – mit sich bringt.
Rz. 33
Ein genereller Ausschluss vom Versicherungsschutz (Risikoausschluss) für bestimmte Krankheiten in AVB – so etwa für psychische Erkrankungen – ist nicht statthaft, weil gegen das Leitbild der §§ 172 ff. VVG verstoßend. Individuelle Ausschlüsse wegen bestimmter Vorerkrankungen sind freilich zulässig.
Rz. 34
Auch psychische Krankheiten und somatoforme Beschwerden können selbstverständlich Berufsunfähigkeit begründen, wenn sie Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen haben. Abzugrenzen ist eine psychische Krankheit von einer willentlich beherrschbaren Simulation oder Aggravation. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf die berufliche Leistungsfähigkeit regelmäßig weder durch bildgebende noch durch andere naturwissenschaftlich reproduzierbare Verfahren dokumentiert werden können. Damit kann kein "hundertprozentiger Beweis" erbracht, sondern nur eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für deren Vorliegen festgestellt werden. Diese muss nach herrschender Meinung bei 80–90 % liegen, damit ein Vollbeweis angenommen werden kann. Auch sonstige objektivierbare Umstände, wie eine lange Leidensgeschichte, können dazu beitragen, somatoforme Störungen nachzuweisen.
Rz. 35
In der psychiatrisch-psychotherapeutischen Diagnostik gibt es keine völlig verlässliche Methode, Störungen des Befindens und Erlebens durch bestimmte Messergebnisse zu objektivieren. Daher kommt es wesentlich auf die Angaben des Versicherten an sowie auf die Beobachtung von dessen Verhalten durch den Sachverständigen. Allerdings darf der Sachverständige die Schilderungen des Versicherten nicht einfach übernehmen, sondern muss sie anhand testpsychologischer Verfahren überprüfen.
Weiter muss das gerichtliche Sachverständigengutachten aufzeigen, welche belegbaren Ergebnisse einer psychopathologischen Befunderhebung bzw. einer psychologischen Testung sich in welcher Weise und in welchem Maße funktionell auf die Anforderungen des vom Versicherten zuletzt ausgeübten Berufs auswirkten. Selbst wenn eine krankheitswertige psychische Beeinträchtigung vorliegt, jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden kann, ob sich diese in bedingungsgemäßem Maße auf die berufliche Leistungsfähigkeit niederschlägt, wirkt ein non liquet zum Nachteil des beweisbelasteten Versicherten.
Rz. 36
Zeigen sich bei psychologischen Tests Unstimmigkeiten, führt dies im Zweifel dazu, dass die erzielten Ergebnisse nicht verwertbar sind und damit eine relevante Erkrankung nicht nachgewiesen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn Anzeichen dafür vorliegen, dass der Versicherte durch sein Verhalten während der Testung in seinem Sinne Einfluss auf die Ergebnisse nehmen wollte, indem er seine Leistungsfähigkeit schlechter zur Geltung kommen lassen wollte, als tatsächlich gegeben.
Beispiel
Ein CAD-Konstrukteur behauptet Berufsunfähigkeit wegen Depression. Es wurden umfängliche testpsychologische Untersuchungen mit genauer Verhaltensbeobachtung, ausführlichen Interviews, zehn standardisierten Leistungstestverfahren und einem Selbstbeurteilungsverfahren durchgeführt. Die testende Psychologin konstatierte eine gewisse Desinteressiertheit bis hin zur Gleichgültigkeit des Versicherten in Bezug auf die Testergebnisse. Viele Tests fielen deutlich schlechter au...