Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 378
Die geläufige Bezeichnung "Anzeigepflicht" bzw. "Anzeigepflichtverletzung" ist irreführend, da es sich nicht um echte Rechtspflichten handelt, sondern der Sache nach um Obliegenheiten, die bei Nichtbefolgung negative Folgen für den Versicherten nach sich ziehen, jedoch nicht einklagbar sind.
1. Übergangsrecht
Rz. 379
Die Vorschriften über die vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung sind mit dem ab 1.1.2008 geltenden neuen VVG grundlegend verändert worden (siehe §§ 19–22 VVG). Die Regelungen zur vorvertraglichen Anzeigepflicht und deren Folgen sind in § 6 der MB BUV 22 enthalten und geben inhaltlich den Gesetzestext wieder.
Während früher nach § 16 Abs. 1 VVG a.F. über alle gefahrerheblichen Umstände ohne ausdrückliche Aufforderung Auskunft zu geben war, müssen jetzt nur noch diejenigen angezeigt werden, nach denen der Versicherer in Textform (§ 126b BGB) ausdrücklich fragt (§ 19 Abs. 1 S. 1 VVG). Nach altem Recht war die "ausdrückliche und schriftliche Frage" des Versicherers lediglich ein Indiz für die Gefahrerheblichkeit (vgl. § 16 Abs. 1 S. 3 VVG a.F.).
Rz. 380
Die nach altem VVG bestehende Obliegenheit zur spontanen Anzeige gefahrerheblicher Umstände entfällt damit grundsätzlich unter der Geltung des neuen Rechts, ist aber für Altverträge weiterhin bedeutsam.
Hinweis
Das alte Recht hat durchaus noch Relevanz für aktuelle Versicherungsfälle, da bei Altverträgen, die vor 2008 abgeschlossen wurden, für die Frage, ob überhaupt eine Anzeigepflicht verletzt wurde, einzig die Vorschriften des alten VVG gelten und nur für die Beurteilung der Rechtsfolgen dieser Verletzung das neue VVG gilt (sog. Spaltungsmodell).
Derartige Übergangsfälle werden in der Praxis noch häufig anzutreffen sein, was durch die zahlreiche aktuellere Rechtsprechung bestätigt wird.
Rz. 381
Nur in "krassen" Ausnahmefällen kann nach neuem VVG von einer spontanen Offenbarungsobliegenheit des Versicherungsnehmers nach Treu und Glauben und ohne Auskunftsverlangen des Versicherers auszugehen sein. Eine solche kann sich nur auf außergewöhnliche und besonders wesentliche Informationen beziehen, die das Aufklärungsinteresse des Versicherers so grundlegend berühren, dass sich dem Versicherungsnehmer ihre Mitteilungsbedürftigkeit auch ohne Auskunftsverlangen aufdrängen muss; d.h. bei Dingen, die für jedermann erkennbar das Aufklärungsinteresse des Versicherers in ganz elementarer Weise betreffen und deren Bedeutung daher für den Versicherungsnehmer auf der Hand liegen. Der Versicherungsnehmer muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Versicherer die aus seiner Sicht gefahrerheblichen Umstände erfragt. Er darf daher in der Regel den Fragenkatalog als abschließend ansehen und braucht keine weitergehenden Überlegungen dazu anzustellen, was den Versicherer darüber hinaus interessieren könnte. Eine spontane Anzeigepflicht besteht nur bei Umständen, die offensichtlich gefahrerheblich und so ungewöhnlich sind, dass eine auf sie abzielende Frage nicht erwartet werden kann.
2. Konkurrenzen
Rz. 382
Neben den Regelungen der §§ 19–22 VVG und der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach BGB ist kein Raum für Ansprüche des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer aus Pflichtverletzung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1 und 3, § 282, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB; früher culpa in contrahendo), wenn der Versicherungsnehmer bei Anbahnung des Versicherungsvertrages über einen gefahrerheblichen Umstand täuscht. Die Vorschriften des VVG regeln die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten abschließend; dies war bereits unter der Geltung des alten VVG gefestigte Rechtsprechung. Denkbar wäre allenfalls die...