Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 49
Die Zustellung von Schriftstücken, die bis zum 31.12.2021 ebenfalls in § 174 ZPO a.F. geregelt war, wurde inhaltlich in die neuen §§ 175 und 176 ZPO aufgenommen. Abs. 1 des § 175 ZPO regelt zunächst, dass ein Schriftstück an die in § 173 Abs. 2 ZPO genannten Verfahrensbeteiligten, somit also auch an Rechtsanwälte, gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden kann. Die Möglichkeit der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis auch durch Telekopie (Fax) wurde in § 175 Abs. 2 ZPO übernommen. Der Nachweis der Zustellung erfolgt durch das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, § 175 Abs. 3 ZPO.
Rz. 50
In § 175 Abs. 4 ZPO ist sodann geregelt, dass das Empfangsbekenntnis schriftlich, durch Telekopie (Fax) oder als elektronisches Dokument i.S.d. § 130a ZPO an das Gericht zurückgesandt werden muss. Die Gesetzesbegründung führt hierzu nicht weiter aus, sodass sich die Frage stellt, ob bei einer Zustellung eines Schriftstücks durch das Gericht an einen Rechtsanwalt § 175 Abs. 4 ZPO so zu verstehen ist, dass der Anwalt zwar das Empfangsbekenntnis zurücksenden muss (dies gilt freilich nur für ordnungsgemäße Zustellungen, siehe dazu § 14 S. 1 BORA), bei der Rücksendung selbst dann aber die Wahl hat, dies entweder schriftlich, per Fax oder als elektronisches Dokument zu tun. § 130d S. 1 ZPO regelt jedoch, dass u.a. Erklärungen seit 1.1.2022 von Rechtsanwälten an ein Gericht zwingend elektronisch zu übermitteln sind. Es stellt sich damit die Frage, ob § 175 Abs. 4 ZPO als Spezialvorschrift dem § 130d S. 1 ZPO vorgeht und ggf. welche Folge es hätte, wenn das Empfangsbekenntnis nicht "formgerecht" zurückgesandt würde.
Rz. 51
Beispiel
Rechtsanwalt K. erhält antragsgemäß die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils des LG München I auf dem Postweg zugestellt. Mit der Zustellung fordert das Gericht mittels vorbereitetem Formular die Abgabe eines Empfangsbekenntnisses an.
Ist Rechtsanwalt K. verpflichtet, das Empfangsbekenntnis via beA i.S.d. § 130d ZPO i.V.m. § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO zurückzusenden oder kann er, wie in "früheren Zeiten" bis 31.12.2021, das Empfangsbekenntnis per Hand ausfüllen, unterzeichnen und wahlweise das Empfangsbekenntnis per Fax oder Briefpost zurücksenden?
Rz. 52
Bei dem Empfangsbekenntnis handelt es sich um eine Erklärung. Solche sind gem. § 130d ZPO, wenn sie von einem Rechtsanwalt gegenüber einem Gericht abgegeben werden, grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln. Nach Ansicht der Verfasser spricht jedoch einiges dafür, dass der Gesetzgeber bei der Rücksendung dem Adressaten dann die Wahl lassen wollte, durch Briefpost, per Fax oder als elektronisches Dokument zurückzusenden, wenn die Zustellung als Schriftstück i.S.d. § 175 Abs. 1 ZPO erfolgt ist und somit für § 175 Abs. 4 ZPO gegenüber § 130d ZPO der Grundsatz gilt: lex specialis derogat legi generali. Dies würde auch einer "logischen Konsequenz" folgen, denn Gerichte stellen i.d.R. nur noch dann Papier-/Schriftstücke zu, wenn die E-Akte bei Gericht noch nicht eingeführt ist. Die umfassende Pflicht zur E-Akten-Führung trifft die Gerichte jedoch erst ab dem 1.1.2026. Elektronische Rücksendungen sind bei Schriftstück-Zustellungen nach unserer Praxiserfahrung von Gerichten i.d.R. gar nicht gewünscht. Würde aber bei einer Rücksendung des Empfangsbekenntnisses an ein Gericht § 130d ZPO dem § 175 Abs. 4 ZPO doch vorgehen, würde eine nicht formgerechte Abgabe anzunehmen sein, mit gewissem Unsicherheitsfaktor, was das Zustellungsdatum betriff. Der Gesetzesbegründung lässt sich zu § 175 Abs. 4 ZPO leider ebenfalls keine Antwort auf diese Frage finden. Zur Vermeidung von Irritationen, insbesondere bei der Fristberechnung, bietet es sich daher an, mit einem per Papierpost erhaltenen Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist, wie folgt zu verfahren:
Rz. 53
Möglichkeit 1:
Ausfüllen des als Schriftstück vorliegenden EB-Formulars per Hand (Datum/Unterschrift); Anbringung einer leserlichen handschriftlichen Unterschrift (= einfache elektronische Signatur, sobald eingescannt), einscannen des EB-Formulars, hochladen in eine beA-Nachricht und Eigenversand aus dem beA des namensgleichen Postfachinhabers i.S.d. § 130a Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ZPO.
Rz. 54
Möglichkeit 2:
Ausfüllen des als Schriftstück vorliegenden EB-Formulars wie gewohnt (Datum/Unterschrift), einscannen des EB-Formulars, hochladen in eine beA-Nachricht, Anbringung einer qualifizierten elektronischen Signatur i.S.d. § 130a Abs. 3 S. 1 Alt. 1 ZPO, Versand via OSCI-fähigen Postfach, z.B. beA des Adressaten oder anderes beA durch einen Mitarbeiter oder Anwalt.
Rz. 55
Damit würde man zumindest die Problematik "umgehen", dass eine nicht formgerechte Rücksendung zu einer Heilung und damit Zustellungsfiktion (Tag des Zugangs) nach § 189 ZPO infrage kommt, siehe hierzu auch das Beispiel unter Rdn 96 ff. in diesem Kapitel. Sofern Gerichte auf eine Rücksendung per Fax oder Briefpost "bestehen", wozu es keine Rechtsgrundlage gibt, siehe dazu auch § 130a Abs. 1 ZPO, ble...