Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 94
Das BVerfG hat mit Beschl. v. 7.12.2015 überspannten Anforderungen an formwirksame Revisionsbegründungen im Strafverfahren eine Absage erteilt:
Zitat
"Es ist mit dem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz nicht vereinbar, allein daraus, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz (§ 345 II StPO) nicht von dem mit "i.V." unterzeichnenden Rechtsanwalt selbst verfasst wurde und beim Namen des eigentlichen Sachbearbeiters der Zusatz "nach Diktat verreist" angebracht ist, herzuleiten, der Unterzeichner habe sich den Inhalt des Schreibens nicht zu eigen gemacht und wolle dafür nicht aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernehmen." (Leitsatz der Redaktion)
Rz. 95
Der Fall:
In einem Strafverfahren wurde beim Landgericht fristgerecht eine Revisionsbegründung eingereicht, die den handschriftlichen Vermerk trug: "i.V. R" mit dem Zusatz "S K Rechtsanwalt (nach Diktat verreist)". Die Besonderheit hier war, dass Rechtsanwalt R mit Rechtsanwalt K in Bürogemeinschaft tätig war. Die Berufungskammer verwarf die Revision als unzulässig, § 346 Abs. 1 StPO, da es an einer formwirksamen Revisionsbegründung mangele. Die Formulierung "i.V. R" könne nur dahin verstanden werden, dass Rechtsanwalt R als Vertreter unterzeichnet habe und gerade nicht die volle Verantwortung für den Inhalt der Revisionsbegründung übernehmen wolle.
Rz. 96
Die Entscheidung:
Das BVerfG hat sich zunächst ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig war, da der Rechtsweg nicht ausgeschöpft wurde. In diesem besonderen Fall wurde die Zulässigkeit bejaht.
Rz. 97
Das BVerfG hielt Zweifel an der Verantwortungsübernahme nicht allein dadurch für berechtigt, dass
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der unterzeichnende Rechtsanwalt zuvor nicht für den Beschuldigten tätig geworden ist |
oder
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ein anderer Rechtsanwalt als der unterzeichnende Rechtsanwalt die Rechtsmittelbegründung diktiert hätte. |
Rz. 98
Anderes, so das BVerfG, könnte nur gelten, wenn
Zitat
"der Unterzeichner sich im Schriftsatz oder auch an anderer Stelle vom Inhalt distanziert oder sich sonst aus dem Inhalt der Schrift ergibt, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung dafür nicht übernehmen kann oder will."
Rz. 99
Im vorliegenden Fall reklamierte das BVerfG zudem, dass das vorbefasste OLG sich nicht näher damit auseinandergesetzt habe, "welchen Erklärungswert und Aussagegehalt es dem Vertretungszusatz beimisst." Allein ein Verweis auf "überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung" reiche nicht aus. Vielmehr spreche grundsätzlich eine Vermutung dafür,
Zitat
"dass der Unterzeichner sich den Inhalt des Schreibens zu Eigen gemacht hat und dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt. In diesem Zusammenhang kann sich die "gestaltende Mitwirkung" darin erschöpfen, das von anderer Seite Entworfene gründlich zu prüfen und ggf. Änderungen vorzunehmen […]."
Rz. 100
Nach Ansicht des BVerfG steht der Zusatz "i.V." bei einer handschriftlichen Unterzeichnung einer solchen Verantwortungsübernahme jedenfalls nicht entgegen und rechtfertigt für sich allein nicht die Annahme, dass der in Vertretung für einen anderen Rechtsanwalt Unterzeichnende eine Revisionsbegründungsschrift ungeprüft unterschrieben hat.
Rz. 101
Der bloße Zusatz "i.V." ebenso wie auch "für" würde weder belegen, dass der unterzeichnende Rechtsanwalt den Schriftsatz nicht gelesen, noch dessen gebilligt habe, noch dass er sich vom Inhalt des Schriftsatzes distanzieren und dem Gericht gegenüber nur als Erklärungsbote auftreten wolle. Vorsicht ist jedoch bei der Unterzeichnung "i.A." geboten.
Rz. 102
Wie schon der BGH im Jahre 1987 geht das BVerfG davon aus, dass eine Unterzeichnung "i.A." nahelegt, dass der Unterzeichnende zu erkennen gibt, dass er für den Inhalt des Schriftsatzes eine Verantwortung nicht übernehmen will und nicht übernimmt und er mit einer derartigen Unterzeichnung dem Gericht gegenüber nur als Erklärungsbote auftritt.
Rz. 103
Bei Verwendung "i.V." könne jedoch ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Unterzeichnende lediglich zum Ausdruck bringt,
Zitat
"vertretungsweise – hier nach § 53 BRAO – zu handeln und dieses Vertretungsverhältnis kenntlich machen zu wollen."
Rz. 104
Was den Zusatz "nach Diktat verreist" betrifft, so lässt sich auch dieser Zusatz nach Ansicht des BVerfG nicht als Distanzierung vom Inhalt des Revisionsbegründungsschriftsatzes auffassen.
Rz. 105
Jedoch Vorsicht: Das BVerfG verweist in seinen Entscheidungsgründen auch auf die obergerichtliche Rechtsprechung, die bei einem Zusatz "für den nach Diktat verreisten Rechtsanwalt" den Rückschluss zulässt, dass der unterzeichnende Rechtsanwalt nicht der eigenverantwortliche Verfasser eines entsprechenden Schriftsatzes gewesen ist, allerdings dürften sich die Zweifel an der Verantwortungsübernahme nach Ansicht des BVerfG eben nicht allein daraus ergeben, dass der unterzeichnende Anwalt die Rechtsmittelbegründung nicht zuvor selbst verfasst hat. Nach dieser Entscheidung des BVerfG steht der Zusatz "nach Diktat verreist" selbst dann, w...