Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 159
Wird eine Fristsache (hier: Berufungsbegründungsschrift) in einem Sammelumschlag mit weiteren Schriftstücken in den gemeinsamen Nachtbriefkasten des Amts- oder Landgerichts eingeworfen, so wird hierdurch die Rechtsmittelfrist gewahrt.
Rz. 160
Im Hinblick darauf, dass grundsätzlich elektronisch einzureichen ist, wird jedoch davon ausgegangen, dass in der Praxis Sammelumschläge eher nur im seltenen Ausnahmefall genutzt werden. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass die Dokumente, die hier in den Nachtbriefkasten gegeben werden, von der Dicke des Umschlags her bereits durch die Größe des Briefschlitzes limitiert sind. Es bietet sich daher in jedem Fall an, Fristsachen einzeln zu kuvertieren und sogar ggf. Anlagen und Schriftsatz zu trennen, falls die Befürchtung besteht, mitten in der Nacht vor einem Nachtbriefkasten zu stehen, dessen Briefschlitz so schmal ist, dass der Umschlag mit Schriftsatz und Anlagen nicht reinpasst.
Rz. 161
Sofern ein Berufungsführer vorträgt, sein Prozessbevollmächtigter habe den Rechtsmittelschriftsatz zu einem konkret bezeichneten, nicht verfristeten Zeitpunkt persönlich in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen und die fristgerechte Einreichung sei am folgenden Tag in der Handakte unter Angabe der Uhrzeit des Einwurfs vermerkt worden, ist, sofern das Gericht Zweifel an den Ausführungen hat, der Prozessbevollmächtigte (soweit als Beweis angeboten) als Zeuge zu vernehmen.
Rz. 162
Zwar bringt bei Einwurf eines Schriftsatzes in den Nachtbriefkasten der gerichtliche Eingangsstempel den Beweis für den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht; an den Gegenbeweis dürfen nach Ansicht des BGH jedoch keine überspannten Anforderungen gestellt werden.
Rz. 163
Eine eidesstattliche Versicherung, die nicht Beweismittel, jedoch Glaubhaftmachungsmittel ist, wird nach Ansicht des BGH i.d.R. nicht ausreichend sein, sodass der Anwalt oder sein Personal als Zeuge zu vernehmen sind, um die Richtigkeit des Eingangsstempels des Gerichts zu entkräften. Zur Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung siehe auch § 3 Rdn 112 ff. in diesem Werk.
Rz. 164
Da ein Prozessbevollmächtigter und auch die Partei in der Regel jedoch keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie in das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen haben, ist es, nach Auffassung des BGH, Sache des Gerichts, die zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen.
Rz. 165
Der BGH hält zum Thema "Gegenbeweis für den rechtzeitigen Einwurf eines Schriftsatzes in den gerichtlichen Nachtbriefkasten" 2017 fest:
Zitat
"a) Der auf einem Schriftsatz aufgebrachte Eingangsstempel des Gerichts erbringt als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO Beweis dafür, dass ein in den Nachtbriefkasten des Gerichts eingeworfener Schriftsatz erst an dem im Stempel angegebenen Tag beim BerGer eingegangen ist. Hiergegen ist jedoch gemäß § 418 Abs. 2 ZPO der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis zulässig, der die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang des Schriftsatzes erfordert (im Anschluss an BGH, Urt. v. 30.3.2000 – IX ZR 251/99, NJW 2000, 1872 unter II 1 a; Beschlüsse vom 5.7.2000 – XII ZB 110/00, NJW-RR 2001, 280; vom 21.2.2007 – XII ZB 37/06, juris Rn 8; vom 8.10.2013 – VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179 Rn 10)."
b) Dabei dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an die Erbringung dieses Gegenbeweises nicht überspannt werden. Da der Außenstehende in der Regel keinen Einblick in die Funktionsweise des gerichtlichen Nachtbriefkastens sowie in das Verfahren bei dessen Leerung und damit keinen Anhaltspunkt für etwaige Fehlerquellen hat, ist es zunächst Sache des Gerichts, die insoweit zur Aufklärung nötigen Maßnahmen zu ergreifen (im Anschluss an BGH, Urteile vom 30.3.2000 – IX ZR 251/99, a.a.O. unter II 1 b; vom 14.10.2004 – VII ZR 33/04, NJW-RR 2005, 75 unter II 2; Beschlüsse vom 3.7.2008 – IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501 Rn 11; vom 8.10.2013 – VIII ZB 13/13, a.a.O. Rn 14; jeweils m.w.N.).
c) Bei einer detaillierten Schilderung der Partei über die genauen Umstände des Einwurfs des Schriftstücks darf sich das Gericht nicht mit einer pauschal gehaltenen dienstlichen Stellungnahme des/der zuständigen Mitarbeiters/in der Poststelle begnügen, die sich in der Aussage erschöpft, es seien weder Störungen festgestellt noch Fehler gemacht worden.“
Rz. 166
Sofern ein Gericht im Übrigen den Einwurf in den Nachtbriefkasten bzw. die persönliche Übergabe bei Gericht verlangt, hat es die Partei vor seiner Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch hierauf hinzuweisen, so der BGH 2022:
Zitat
"War die von dem Prozessbevollmächtigten der Partei zulässigerweise gewählte Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes am Tag des Fristablaufs aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gescheitert und hält das mit dem Wiedereinsetzungsgesuch befasste Gericht einen anderen Übermittlungsweg für zumutbar, womit de...