Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 37
Eine Entscheidung des BGH, die u.E. zu Unrecht als "ERV light" bezeichnet wird, stellt im Grunde genommen eine Fortbildung des Rechts zur schriftlichen Einreichung dar, so wie man dies Anfang der 80iger Jahre mit dem Fax erlebte.
Rz. 38
Der BGH hält einen Schriftsatz, der unterschrieben und eingescannt per Mail an das Gericht übermittelt wird, dann als rechtzeitig schriftlich eingereicht, wenn er vor Fristablauf in körperlicher Form, d.h. ausgedruckt vorliegt.
Zitat
"1. Eine im Original unterzeichnete Beschwerdebegründungsschrift, die eingescannt und im Anhang einer elektronischen Nachricht als PDF-Datei übermittelt wird, ist erst dann in schriftlicher Form bei Gericht eingereicht, sobald bei dem Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, ein Ausdruck der den vollständigen Schriftsatz enthaltenden PDF-Datei vorliegt (im Anschluss an Senat, NJW 2015, 1527 = FamRZ 2015, 919)."
2. Die zur Übersendung einer Telekopie ergangene Rechtsprechung des BGH, dass eine einzuhaltende Frist bereits durch den vollständigen Empfang der gesendeten Signale vom Telefax des Gerichts gewahrt ist, kann nicht auf die Übermittlung einer E-Mail mit einem eingescannten Schriftsatz, die die Voraussetzungen für ein elektronisches Dokument nach § 130 a ZPO nicht erfüllt, übertragen werden.“
(Hervorhebungen durch Verf.)
Rz. 39
Schon 2015 hatte der BGH in diese Richtung entschieden (Hervorhebungen durch Verf.):
Zitat
"Eine Beschwerdeschrift ist in schriftlicher Form eingereicht, sobald bei dem Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, ein Ausdruck der als Anhang einer elektronischen Nachricht übermittelten, die vollständige Beschwerdeschrift enthaltenden PDF-Datei vorliegt. Ist die Datei durch Einscannen eines von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten handschriftlich unterzeichneten Schriftsatzes hergestellt, ist auch dem Unterschriftserfordernis des § 64 II 4 FamFG genügt (im Anschluss an BGH, NJW 2008, 2649)."
Rz. 40
Bitte beachten Sie: Auch wenn die Übertragung in diesem Fall per Mail erfolgt ist, entschied der BGH über die "schriftliche"“ Einreichung. Einer elektronischen Einreichung wäre schon nicht genügt, weil hier die Einreichung über ein zulässiges elektronisches Postfach erfolgen muss, das EGVP-kompatibel ist, siehe dazu auch § 4 ERVV.
Rz. 41
Für die Abendstunden ist dieser "Rettungsanker", z.B. bei Ausfall des gerichtlichen Faxgeräts, nicht geeignet, da niemand mehr bei der Geschäftsstelle vorhanden ist, der den Schriftsatz ggf. ausdrucken kann. Interessant in diesem Zusammenhang der Beschluss des OLG Oldenburg, das eine Einreichung per E-Mail zu Recht als nicht wirksam angesehen hat; elektronische (§ 130a ZPO) und schriftliche Einreichung (§ 130 Nr. 6 ZPO) dürfen daher nicht verwechselt werden!
Zitat
"1. Selbst wenn ein Oberlandesgericht eine E-Mail-Adresse allgemeiner Art unterhält, darf ein Prozessbevollmächtigte nicht davon ausgehen, dass er diese Anschrift auch für die Korrespondenz in Rechtssachen nutzen darf (Rn 2)."
2. Nach §§ 130a ZPO, 14 FamFG können Schriftstücke in Rechtssachen (nur) dann elektronisch eingereicht werden, wenn die Voraussetzungen von § 130a II bis IV ZPO vorliegen. Schriftstücke in Rechtssachen können daher wirksam und insbesondere fristwahrend nicht an eine andere als die auf der Web Seite des Oberlandesgerichts hierfür bestimmte Anschrift elektronisch eingereicht werden (Rn 2).“
Rz. 42
Dass ein per Mail eingereichter, im Original vom postulationsfähigen Anwalt unterschriebener Schriftsatz dann den Anforderungen an § 130 Nr. 6 ZPO – und somit der schriftlichen Einreichung – genügen kann, wenn der Ausdruck noch vor Fristablauf bei Gericht vorliegt, hat der BGH auch in einer weiteren Entscheidung bestätigt. Für eine Rettung der Frist in den Abendstunden bei vorübergehender technischer Störung eignet sich diese Vorgehensweise jedoch definitiv nicht. Allerdings wäre es zu überlegen, ob eine solche Einreichung dann infrage kommt, wenn die Höchstgrenzen gem. § 5 ERVV i.V.m. der 2. ERVB 2022 überschritten werden und in den frühen Morgenstunden in telefonischer Absprache mit dem Gericht anstelle einer Einreichung des umfangreichen Dokuments per Fax die Übermittlung per Mail mit Abklärung des vollständigen Ausdrucks vor Fristablauf durch das Gericht erfolgt.
Rz. 43
Diese Art der Einreichung kommt nur als Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 ZPO infrage und ist der sog. "schriftlichen Einreichung" zuzuordnen. Es ist eben keine elektronische Einreichung, auch kein "ERV light". Letztendlich kann man davon ausgehen, dass der BGH mit dieser Rechtsprechung, ähnlich wie dies Mitte der 80iger Jahre bei Einführung des Faxgeräts erfolgt ist, nunmehr die Einreichung per E-Mail als schriftliche Einreichung in diesen besonderen Ausnahmefällen für wirksam hält. Es handelt sich somit um eine Fortentwicklung der Rechtsprechung zu § 130 Nr. 6 ZPO. Dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass es nicht ausreicht, den im Original unterschriebenen Schriftsatz einzuscannen und als Anhang zu einer klassischen E-Mail...