Rz. 213
Anders kann dies hingegen sein, wenn Wirtschaftsgüter an Erfüllungs statt für Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. § 364 BGB auf den Pflichtteilsberechtigten übertragen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Hingabe der Wirtschaftsgüter aus dem Nachlass selbst erfolgt oder andere Wirtschaftsgüter betroffen sind. Handelt es sich bei der Hingabe von Grundbesitz oder Anteilen an Kapitalgesellschaften des Privatvermögens um ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 17 EStG, § 20 Abs. 2 EStG, § 23 EStG oder § 21 Abs. 2 UmwStG, so kann bei Leistung entsprechender Wirtschaftsgüter an Erfüllungs statt für den Pflichtteilsanspruch oder als Abfindung für den Verzicht bzw. Erlass auf den Pflichtteilsanspruch ein einkommensteuerpflichtiger Gewinn realisiert werden. Die vorstehende Frage ist umstritten. Dazu haben die OFD Frankfurt a.M. sowie die OFD München Stellung genommen. Beide Verwaltungsverfügungen setzen sich zwar nicht unmittelbar mit dem Recht des Pflichtteilsanspruchs auseinander. Sie behandeln vielmehr die Hingabe eines Grundstücks an Erfüllungs statt für Zugewinnausgleichs- oder Unterhaltsansprüche im Rahmen von Scheidungs- und Trennungsvereinbarungen. Beide Sachverhalte sind im Grundsatz jedoch identisch zu beurteilen. Nach Meinung der OFD Frankfurt und der OFD München erfüllt die Übertragung eines Grundstücks an Erfüllungs statt i.S.d. § 364 BGB die Voraussetzungen einer Veräußerung i.S.d. § 23 EStG. Die Finanzverwaltung würdigt den entsprechenden Sachverhalt wie einen Verkauf mit nachfolgender Verrechnung des Kaufpreiszahlungsanspruchs mit dem Zugewinnausgleichsanspruch. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 16.12.2004 ebenso die Ansicht vertreten, dass die Hingabe eines Anteils am Betriebsvermögen gegen Abgeltung "von Pflichtteilsansprüchen ein Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 16 EStG sei und zu einem laufenden steuerpflichtigen Gewinn führe".
Rz. 214
Demgegenüber ist nach zutreffender Meinung, die insbesondere auf Tiedtke zurückzuführen ist, in der Hingabe von Grundbesitz oder anderen Wirtschaftsgütern an Erfüllungs statt kein Veräußerungsgeschäft i.S.d. §§ 17, 20, 23 EStG, § 21 UmwStG zu sehen. Dies basiert insbesondere auf den dogmatischen Grundlagen des Pflichtteilsrechts und deren historischen Entstehungsgründen. Die entsprechenden Erwägungen wurden in anderem Zusammenhang früher auch vom BFH geteilt. Der BFH stützte sich teilweise darauf, dass bei Hingabe von Vermögensgegenständen des Nachlasses an den Pflichtteilsberechtigten zur Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen die Rechtslage wirtschaftlich so sei, als wäre eine Miterbengemeinschaft entstanden, die anschließend real geteilt werde. Wirtschaftlich sei der Sachverhalt so zu behandeln, als seien die vom Pflichtteilsberechtigen erworbenen Gegenstände unmittelbar vom Erblasser auf diesen übergegangen. Historisch betrachtet habe der Pflichtteilsberechtigte ursprünglich eine Art Noterbrecht, also eine unmittelbare Beteiligung am Nachlass des nahen Angehörigen, erhalten sollen. Allein aus Praktikabilitätsgründen sei an die Stelle des ansonsten auch europaweit verbreiteten Noterbrechts ein reiner Geldanspruch ausgesetzt worden, da dies streitvermeidend wirken und damit die Abwicklung des Nachlasses erleichtern sollte. Dies sei allerdings eine im Wesentlichen "technische" Entscheidung des Gesetzgebers gewesen. Der Pflichtteilsberechtigte habe im Übrigen nicht schlechter gestellt werden sollen, als wenn er Miterbe geworden wäre. Dies hat nach Meinung des BFH insbesondere dann zu gelten, wenn der an die Stelle des Pflichtteilsberechtigten getretene Erbe und der Pflichtteilsberechtigte eine entsprechende Vereinbarung treffen, die dem Pflichtteilsberechtigten eine Teilhabe am Nachlass ermöglicht. Wählen die Beteiligten eine ebensolche Gestaltung, dann könne der Sachverhalt auch nicht anders beurteilt werden; das Noterbrecht müsse in diesem Fall "durchschlagen". Die Erfüllung dieses unentgeltlich, also von Todes wegen, erworbenen Anspruchs kann sich nicht durch Hingabe eines Nachlassgegenstands, der an die Stelle des Bargeldanspruchs treten soll, in einen entgeltlichen Veräußerungsvorgang verwandeln. Die Fiktion eines Verkaufsgeschäfts mit anschließender Verrechnung des Kaufpreiszahlungsanspruchs mit einem Pflichtteilsanspruch entspricht weder dem zivilrechtlich noch dem steuerrechtlich von den Beteiligten Gewollten. Die Leistung an Erfüllungs statt ist lediglich eine Erfüllungsvereinbarung, nicht jedoch die Vereinbarung eines neuen selbstständigen Veräußerungs- und Kaufgeschäfts. Die Meinung von BFH und Finanzverwaltung ist daher abzulehnen.
Rz. 215
Praxishinweis
Für die Praxis bleibt dennoch festzuhalten, dass zur Vermeidung von Streitigkeiten davon auszugehen ist, dass entsprechende Geschäfte zur Hingabe von Grundbesitz oder anderen Vermögensgegenständen an Erfüllungs statt für Pflichtteilsansprüche als entgeltliches Veräußerungsgeschäft gewürdigt werden.
Rz. 216
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