Rz. 224
Wie bereits gesehen (siehe Rdn 213), geht die überwiegende Meinung, einschließlich einzelner Urteile des BFH, davon aus, dass durch die Hingabe eines Wirtschaftsguts an Erfüllungs statt für einen Pflichtteilsanspruch – zumindest im Bereich des Privatvermögens – ein Veräußerungsgeschäft verwirklicht werde. Die oben erörterte Problematik gilt insoweit grundsätzlich auch im Bereich des Betriebsvermögens. Allerdings entsteht hier eine zusätzliche Problematik: Nach Meinung des BFH wird kein unmittelbares Veräußerungsgeschäft aus dem Betriebsvermögen getätigt, wenn die Gegenleistung für die Übertragung des Grundstücks in der Befreiung von einer privaten Schuld besteht. Die Pflichtteilslast ist eine ebensolche private Schuld. In diesen Fällen ging der BFH davon aus, dem (nach h.M.) veräußerungsähnlichen Geschäft der Hingabe an Erfüllungs statt gehe zunächst eine Entnahme voraus. Erst nach der Entnahme werde das Veräußerungsgeschäft getätigt. Demgegenüber nehmen Teile des Schrifttums an, dass es sich unmittelbar um ein Veräußerungsgeschäft des Betriebsvermögens handele. Die Auswirkungen beider vorstehend geschilderten Meinungen gleichen sich steuerrechtlich weitestgehend. Unterschiede ergeben sich insbesondere im Hinblick auf § 6b EStG. Die dort geregelte Reinvestitionsrücklage ist bei Entnahmen nicht möglich, wohl aber bei Veräußerungsvorgängen. Nach Meinung des vorstehend zitierten BFH-Urteils würde eine Rücklage nach § 6b EStG daher ausscheiden, wenn Grundbesitz aus dem Betriebsvermögen zur Erfüllung der privaten Pflichtteilslast an den Pflichtteilsberechtigten übereignet würde. In seiner Entscheidung vom 16.12.2004 hat der BFH eine solche vorangehende Entnahme jedoch nicht mehr vertreten, sondern allein ein Veräußerungsgeschäft angenommen. Zumindest der 3. Senat scheint sich damit von der vorstehenden Entnahmethese verabschiedet zu haben.
Rz. 225
Praxishinweis
Unabhängig davon, welcher Meinung man folgt, gilt: Eine Gewinnrealisierung tritt nach beiden Meinungen ein. Nach der Ansicht, die sich für ein Veräußerungsgeschäft entscheidet, lässt sich der so entstehende steuerpflichtige Gewinn jedoch nachträglich noch durch eine Reinvestition neutralisieren.
Rz. 226
Nach der hier vertretenen und bereits oben geschilderten Meinung, wonach die Leistung an Erfüllungs statt zur Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs die Natur der ursprünglichen privaten Verbindlichkeit teilt, also keine Veräußerung verwirklicht wird (siehe Rdn 214), handelt es sich notwendigerweise um eine Entnahme, wenn ein betriebliches Wirtschaftsgut zur Erfüllung einer privaten Verbindlichkeit hingegeben wird. Ein Veräußerungsgeschäft steht hier nicht im Raume.
Rz. 227
Die vorstehenden Grundsätze, wonach in der Hingabe von Grundbesitz zur Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen eine Entnahme oder ein Veräußerungsgeschäft zu sehen ist, gelten jedoch in besonderen Ausnahmefällen von Erbstreitigkeiten mit einem Erbprätendenten nicht.
Beispiel
Erblasser E hinterlässt zwei Söhne S 1 und S 2. Im Nachlass befindet sich ein wertvoller Betrieb mit einigen Grundstücken des gewillkürten Betriebsvermögens, die auch zu privaten Zwecken genutzt werden können. E hinterlässt eine Vielzahl einander widersprechender Testamente. Die Rechtslage ist verworren. Das Nachlassgericht kommt zu dem Ergebnis, dass S 1 Alleinerbe geworden sei. Hiergegen wendet sich der Sohn S 2 und regt die Einziehung des Erbscheins an. Es kommt zu einem Streitverfahren. In dessen Verlauf wird ein Vergleich geschlossen, in dem sich S 1 und S 2 dahingehend einigen, dass S 1 Alleinerbe sei und S 2 wesentliche Teile des Nachlasses übereignet erhalte.
Rz. 228
"Überlässt der Testamentserbe dem das Testament anfechtenden Erbprätendenten, der zugleich als Pflichtteilsberechtigter in Betracht kommt", lautet der Leitsatz des BFH zu der vorgenannten Entscheidung, "zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten Wirtschaftsgüter aus dem Nachlass, so ist der Empfänger steuerlich wie ein Erbe zu behandeln". Dies gelte zumindest dann, wenn die Wirtschaftsgüter aus dem Nachlass den Wert des Pflichtteilsanspruchs deutlich übersteigen. In einem solchen Fall solle der Erbprätendent wie ein Miterbe gestellt werden. Eine Übertragung als Leistung an Erfüllungs statt für den Pflichtteilsanspruch könne in einem solchen Fall nicht angenommen werden. Es liege damit keine entgeltliche Veräußerung und keine Entnahme vor. Der Sachverhalt sei vielmehr zu würdigen wie eine Erbengemeinschaft, die im Wege der Realteilung auseinandergesetzt werde. In diesem Fall handelt es sich um unentgeltliche Übertragungen.
Rz. 229
Praxishinweis
Die vorstehende Fallgruppe führt zur Vermeidung einer Gewinnrealisierung und ist daher aus Sicht des Steuerpflichtigen im Regelfall besonders attraktiv. In geeigneten Fällen, in denen die Rechtslage umstritten war, sollte bei der vergleichsweisen Einigung ausdrücklich festgehalten werden, dass die Vermögensübertragung nicht der Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs diene, sondern...