Rz. 235
Problematisch ist, ob Zahlungen zur Abfindung von Pflichtteilsansprüchen als Versorgungsleistungen nach §§ 10 Abs. 1 Nr. 1a, 22 Nr. 1 EStG einzuordnen sind.
Beispiel
M ist Mutter von drei Kindern und Inhaberin eines wertvollen Betriebs. Zur Vorbereitung der vorweggenommenen Erbfolge und der Einleitung entsprechender Schritte wendet sie sich an die beiden jüngsten Kinder K 2 und K 3 mit der Bitte, dass diese gegen eine Abfindung auf ihr Erb- und Pflichtteilsrecht verzichten mögen. Eine entsprechende Vereinbarung wird zu notarieller Urkunde getroffen, wobei als Gegenleistung ohne Rücksicht auf den Wert des Erb- und Pflichtteilsverzichts eine Rente i.H.v. 50.000 EUR je Kind auf die Dauer von elf Jahren vereinbart wird. Das zuständige Finanzamt beurteilt die Zahlungen als wiederkehrende Bezüge i.S.v. § 22 Nr. 1 S. 1 EStG und unterwirft die Zahlungen bei den Kindern K 2 und K 3 in voller Höhe der Einkommensteuer. Mit Recht?
Rz. 236
Nach ursprünglicher Meinung des BFH waren wiederkehrende Zahlungen als Gegenleistungen für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht nicht als wiederkehrende Leistungen gem. § 22 Nr. 1 S. 1 EStG steuerbar. Spiegelbildlich handelte es sich beim Zahlenden auch nicht um Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG. Allenfalls konnte ein enthaltener Zinsanteil steuerpflichtig sein. Dem ist jedoch der BFH in einer neuen Entscheidung explizit entgegengetreten und verneint einen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG enthaltenen Zinsanteil bei einem Verzicht auf künftige Pflichtteilsansprüche. Dies gilt jedoch nicht für den Verzicht auf einen bereits entstandenen bzw. geltend gemachten Pflichtteil gegen Abfindung.
Rz. 237
Die Steuerbarkeit von Zahlungen resultiere nicht allein daraus, dass ein Geldbetrag nicht in Form eines Einmalbetrages, sondern in Form wiederkehrender Zahlungen zu erbringen sei. Nach der Systematik des Einkommensteuerrechts sei lediglich erzieltes Einkommen, also die erwirtschaftete Mehrung objektiver Leistungsfähigkeit, steuerpflichtig. "Eine Leistung, die bei Einmalzahlung nicht der Einkommensteuer unterliegt, kann nicht deshalb in voller Höhe steuerbar werden, weil sie in Form wiederkehrender (zeitlich begrenzter oder auf Lebenszeit einer Person bezogener) Zahlungen zu erbringen ist."
Rz. 238
Damit weicht der BFH im genannten Urteil von dem älteren Urteil aus dem Jahre 1992 ab, in dem eine Abfindung für einen Pflichtteils- bzw. Erbverzicht in Form von Rentenzahlungen als wiederkehrende Bezüge i.S.d. § 22 EStG qualifiziert wurde.
Rz. 239
Es handele sich auch nicht um einen Fall der vorweggenommenen Erbfolge einer ertragbringenden Vermögenseinheit gegen Versorgungsleistungen. Versorgungsleistungen sind grundsätzlich anzunehmen, wenn eine ertragbringende Vermögenseinheit so übertragen wird, dass der Übergeber sich gewissermaßen die Erträge, die nach der Übergabe vom Übernehmer erwirtschaftet werden, selbst vorbehält. In diesem Fall wird ein entsprechendes Rechtsgeschäft steuerrechtlich als unentgeltlich behandelt. Dem kann es jedoch nicht gleichgestellt werden, wenn der Empfänger der wiederkehrenden Zahlung lediglich auf seinen Erb- oder Pflichtteil verzichtet. Denn der Erb- oder Pflichtteilsverzicht kann nicht als Übertragung einer ertragbringenden Vermögenseinheit angesehen werden. Die Verneinung einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistung hat der BFH im genannten Urteil vom 20.10.1999 zumindest für den Fall vorgenommen, in dem es sich nicht um lebenslängliche Versorgungsleistungen handelt, sondern um zeitlich befristete wiederkehrende Bezüge. In diesem Fall handele es sich um eine lediglich zeitlich gestreckte, betragsmäßig festgelegte Gegenleistung. In der Entscheidung vom 9.2.2010 stellt der BFH für den Verzicht auf künftige Pflichtteilsansprüche gegen wiederkehrende Leistungen fest, dass weder ein entgeltlicher Leistungsaustausch noch eine Kapitalüberlassung des pflichtteilsberechtigten Kindes an die Eltern vorliege. Ein einkommensteuerpflichtiger Zinsanteil i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG scheide deshalb aus.
Praxishinweis
Um einen einkommensteuerbaren Zinsanteil zu vermeiden, darf nicht zuerst eine Einmalzahlung als Abfindung vereinbart werden, die erst in einem zweiten Schritt verrentet wird.
In seiner Entscheidung vom 25.2.2014 stellte der BFH demgegenüber fest, dass laufende Zahlungen für den Verzicht auf Pflichtteilsansprüche regelmäßig Versorgungsleistungen darstellen, sofern das vom Erben überlassene Vermögen ausreichend ertragfähig ist.
Rz. 240
Die vorstehenden Ausführungen zum Recht der dauernden Last bzw. Leibrente i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG und § 22 Nr. 1 S. 1 EStG spielen ab dem Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2008 nur noch bei Betriebsvermögen eine Rolle. Der Gesetzgeber hat mit dem Jahressteuergesetz 2008 das entsprechende Recht der Vermögensnachfolge gegen Versorgungsleistungen gesetzlich dahingehend geändert, dass im Bereich des Privatvermögens die Gestaltungen mit Leibrente und dauernde...