Rz. 126
Für Klagen, welche
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die Gültigkeit oder Nichtigkeit einer Gesellschaft oder juristischen Person, also die Wirksamkeit ihrer Gründung, |
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die Auflösung der Gesellschaft oder juristischen Person oder |
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die Gültigkeit der Beschlüsse eines ihrer Organe zum Gegenstand haben – dies gilt sowohl für Anfechtungsklagen, Nichtigkeitsklagen und andere Gestaltungsklagen, die die Nichtigkeit eines fehlerhaften Beschlusses herbeiführen sollen, wie auch für Feststellungsklagen, die entweder die Nichtigkeit oder aber die Wirksamkeit des Beschlusses bestätigen –, |
sind gem. Art. 24 Nr. 2 EuGVVO die Gerichte des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat, ausschließlich zuständig. Auch für Klagen im Spruchverfahren, die auf die Überprüfung der Angemessenheit einer Abfindung an die Minderheitsaktionäre im Falle eines Squeeze-out gerichtet sind, hat der EuGH den Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 2 EuGVVO bejaht. Aus der ausdrücklichen Erwähnung der Gesellschaften neben den juristischen Personen ergibt sich, dass auch Personenhandelsgesellschaften wie die KG und die OHG, von dieser Regelung erfasst werden.
Rz. 127
Die Vorschrift ist – da sie die von der ausschließlichen Zuständigkeit erfassten Klagen abschließend aufzählt – notwendigerweise unvollständig. So fallen z.B. Haftungsklagen gegen Gesellschafter oder Gesellschaftsorgane, die Eigenkapitalersatzklage, aber auch eine Hinauskündigungsklage gegen einen Mitgesellschafter aus dem Anwendungsbereich heraus in die allgemeine Zuständigkeitsnorm. Eine entsprechende Anwendung der Zuständigkeitsnorm auf diese Fälle scheidet aus, weil die Zuständigkeit zugleich eine ausschließliche darstellt. Art. 24 Nr. 2 EuGVVO begründet ferner nur dann einen ausschließlichen Gerichtsstand, wenn der Rechtsstreit die dort aufgeführten Gegenstände "in erster Linie" und nicht lediglich inzident als Vorfrage betrifft.
Rz. 128
Bei der Entscheidung darüber, wo sich der für die Bestimmung der Zuständigkeit maßgebliche Sitz der Gesellschaft befindet, muss das Gericht aufgrund ausdrücklicher Regelung (Qualifikationsverweisung) die Vorschriften seines eigenen (nationalen) IPR anwenden (Art. 24 Nr. 2 Satz 2 EuGVVO). Fraglich ist nun, wie dieser Begriff auszufüllen ist. Auf der Basis der traditionellen Sitztheorie wäre der Begriff mit dem "tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung" zu füllen, wie er vom BGH in Anlehnung an die Formel von Sandrock festgelegt wurde (hierzu o. Rdn 10.). Nachdem der EuGH in der Entscheidung "Überseering" eine primärrechtliche Anerkennungspflicht statuiert hat, ist nach zutreffender Ansicht Art. 24 Nr. 2 S. 2 EuGVVO dahingehend auszulegen, dass sich für EU-Auslandsgesellschaften aus Gründungstheoriestaaten die ausschließliche Zuständigkeit aus dem Satzungssitz im Gründungsstaat ergibt. Dementsprechend sind deutsche Gerichte für die betroffenen Rechtsangelegenheiten einer EU-Auslandsgesellschaft nicht zuständig, selbst wenn diese ihren tatsächlichen Verwaltungssitz im Inland hat. Hingegen verbleibt es bei deutschen Kapitalgesellschaften mit tatsächlichem Sitz im Ausland bei der internationalen deutschen Zuständigkeit.