Rz. 122
Die niedrigste Hierarchiestufe unter den Rechtsquellen nimmt das nationale ("autonome") Zuständigkeitsrecht ein. Hierbei überrascht es zunächst, dass es – anders als für das IPR – im deutschen Recht einen geschlossenen Regelungskomplex weder für das internationale Zivilprozessrecht noch etwa für die internationale Zuständigkeit gibt. Unter den allgemeinen Zuständigkeitsnormen finden wir den § 23 ZPO, wonach eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, wegen vermögensrechtlicher Ansprüche auch vor dem Gericht verklagt werden kann, in dessen Bezirk sich Vermögen des Beklagten befindet. Diese Vorschrift ist mehr Ergänzung zu einem anders gearteten System als ein eigener Grundsatz.
Rz. 123
Bislang wurde diese Regelungslücke dadurch gefüllt, dass man die internationale Zuständigkeit als eine örtliche Zuständigkeit im weiteren Sinne behandelt und aus den Zuständigkeitsnormen für die örtliche Zuständigkeit abgeleitet hat. Die Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit an ein bestimmtes deutsches Gericht aufgrund des Sitzes einer Gesellschaft oder anderer Umstände indiziert also bspw. über §§ 13, 17 ZPO – quasi von der lokalen auf die internationale Ebene verlängert – auch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage.
Die praktische Bedeutung dieser Fortbildung des nationalen Rechts schwindet jedoch. Jedenfalls dann, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz – bzw. die beklagte Gesellschaft ihren Sitz – in einem Mitgliedstaat der EU hat, unterliegt die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Zivil- und Handelssachen den Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, auch: Brüssel Ia-Verordnung). Diese Verordnung gilt nach ihrem Art. 81 Unterabs. 2 ab dem 10.1.2015 und ersetzt ihre Vorgängerin (vgl. Art. 80), nämlich die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (Brüssel I). In Großbritannien gilt die Brüssel Ia-Verordnung seit dem 1.1.2021 infolge des Brexits nicht mehr. Das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 stellt ein weitgehend gleichlautendes Parallelüberkommen dar, welches im Verhältnis der EU-Staaten zu Nicht-EU-Staaten abgeschlossen wurde. Daher gilt es weiterhin für Deutschland im Verhältnis zu Island, Norwegen und der Schweiz.