1. Verlegung des Verwaltungssitzes einer deutschen GmbH ins Ausland
Rz. 104
Verlegt eine deutsche GmbH den tatsächlichen Sitz ihrer Hauptverwaltung aus Deutschland ins Ausland (Wegzug), so tritt auf der Basis der – in Bezug auf deutsche Gesellschaften weiterhin anwendbaren – Sitztheorie grds. ein Statutenwechsel ein. An die Stelle des bisherigen deutschen Gesellschaftsstatuts tritt eine Verweisung auf das Recht des neuen Sitzstaates. Die Gesellschaft kann daher nach einem derartigen Wechsel allenfalls dann fortbestehen, wenn sie auch nach dem neuen Sitzrecht anerkannt wird.
Rz. 105
Anders ist dies, wenn die GmbH ihren neuen Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat. Sie wäre dann dort auf der Basis der Rspr. des EuGH in Sachen "Überseering" entsprechend der Gründungstheorie nach Maßgabe des deutschen Gründungsrechts anzuerkennen. Gleiches gilt bei Verlegung des Verwaltungssitzes in einen Staat, der bei der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts generell der Gründungstheorie folgt. In diesem Fall wendet das Recht des neuen Sitzstaates das deutsche Gesellschaftsrecht an. Hierin liegt eine Rückverweisung auf das deutsche Recht. Diese Rückverweisung führt gem. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB zur Fortgeltung des deutschen Gesellschaftsstatuts, sodass trotz Sitzverlegung die Kontinuität gewährleistet ist.
Allerdings verlangten früher die Lit. und Rspr. bei Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer deutschen Gesellschaft in das Ausland (Wegzug) – selbst bei Fortgeltung deutschen Gesellschaftsstatuts auf kollisionsrechtlicher Ebene – aus Gründen des materiellen deutschen Gesellschaftsrechts wegen Auseinanderfallens von statutarischem Gesellschaftssitz und tatsächlichem Sitz der Geschäftsleitung die Auflösung der Gesellschaft. Weder eine entgegenstehende Satzungsbestimmung noch ein abweichender Wille der Gesellschafter könnten dies verhindern. In der Rspr. findet sich dieser Satz in vielen Entscheidungen. Allerdings ging es dort nicht um die Verlegung des tatsächlichen, sondern des statutarischen Sitzes.
Rz. 106
Durch die Neufassung der § 4a GmbHG und § 5 AktG ist dieser Auflösungsgrund auf der Ebene des materiellen Gesellschaftsrechts für die Kapitalgesellschaften beseitigt worden. Das Auseinanderfallen von statutarischem Sitz und dem Sitz der Geschäftsleitung ist nun zulässig. Mit der Neuregelung durch das MoMiG sollte es einer deutschen GmbH und AG ausdrücklich ermöglicht werden, ihren tatsächlichen Verwaltungssitz ins Ausland zu verlegen. Das gilt auch dann, wenn die Geschäftsleitung der deutschen Gesellschaft sich nicht im Inland, sondern im Ausland befindet.
Nach Inkrafttreten des MoPeG wird es aufgrund der Neuregelung in § 706 BGB (ggf. i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB; § 161 Abs. 2 HGB; § 1 Abs. 4 PartGG) für registrierte Personengesellschaften eine vergleichbare Wegzugsfreiheit geben. § 706 S. 2 BGB eröffnet für registrierte Gesellschaften die Möglichkeit, einen sog. Vertragssitz zu bestimmen. Dabei handelt es sich um den gesellschaftsvertraglich vereinbarten Sitz, der zwingend im Inland liegen muss. Der Verwaltungssitz kann davon abweichend gewählt werden, sodass unter bestimmten Voraussetzungen eine Trennung des Verwaltungs- vom Vertragssitz ermöglicht wird, und zwar unabhängig davon, ob die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder in einem Drittstaat hat. Der Gesetzgeber bezweckt damit eine Angleichung der Rechtslage für Personengesellschaften an diejenige von Kapitalgesellschaften. Neben dieser Rechtsvereinheitlichung soll dem praktischen Bedürfnis der Personengesellschaften Rechnung getragen werden, "sämtliche Geschäftstätigkeit außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes zu entfalten, ohne auf eine für sie vertraute Rechtsform verzichten zu müssen"
Rz. 107
Umstritten ist allerdings, ob § 4a GmbHG, § 5 AktG und § 706 BGB zugleich als versteckte einseitige Kollisionsnormen zu begreifen sind, die jedenfalls im Fall des Wegzugs der Gesellschaft eine Gründungsanknüpfung vorschreiben. Nur durch eine solche Auslegung wäre die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland in jedem Fall gewährleistet. Der durch den MoMiG- und MoPeG-Gesetzgeber verfolgte Zweck – die Mobilität deutscher Gesellschaften zu fördern – spricht zwar für das Vorliegen einer versteckten Kollisionsnorm. Allerdings ging es dem MoMiG-Gesetzgeber seinerzeit gerade um die Schaffung eines level playing field mit anderen europäischen Rechtsformen. Dies konnte wegen der EuGH-Rechtsprechungen "Centros", "Überseering" und "Inspire Art" auch durch eine rein sachrechtliche Regelung erreicht werden. Zu bedenken ist ferner, dass parallel zum Entwurf des MoMiG die politisch umstrittene und mittlerweile gescheiterte Reform des Internationalen Gesellschaftsrechts geplant worden ist. Dass der Gesetzgeber an versteckter Stelle eine kollisionsrechtliche Regelung schaffen wollte, liegt im Lichte der politischen Auseinandersetzung um Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 EGBGB-E fern. Die systematische Stellung der geänderten Vorschriften innerhalb des ...