(a) Kenntnis aller Gesellschafter

 

Rz. 287

Bei der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ist stets die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ab Kenntnis einzuhalten. In der Praxis von besonderer Relevanz ist die Frage, auf wessen Kenntnis abzustellen ist. Kündigungsberechtigt ist bei der GmbH grundsätzlich die Gesellschafterversammlung als das analog § 46 Nr. 5 GmbHG zuständige Organ, es sei denn, die Befugnis ist im Gesellschaftsvertrag oder durch die Gesellschafter auf andere Personen übertragen worden (vgl. BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11). Nach zutreffender Auffassung kommt es auf die Kenntnis des Kündigungsberechtigten, d.h. grds. die Kenntnis aller Gesellschafter als kündigungsberechtigtem Organ, an, damit der Lauf der Frist beginnt (vgl. BGH v. 2.7.2019 – II ZR 155/18, juris Vorstand Genossenschaft; vgl. BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, NJW-RR 2002, 173; zustimmend OLG Jena v. 12.8.2009, GmbHR 2010, 483; vgl. ferner BGH v. 15.6.1998, DB 1998, 1608 = GmbHR 1998, 827; BGH v. 9.11.1992, NJW 1993, 463 = NZA 1993, 267). Wird allerdings eine Gesellschafterversammlung einberufen und fehlen in der Sitzung einzelne Gesellschafter, kann es nicht auf die Kenntnis aller Gesellschafter ankommen. Es muss die Kenntnis der Gesellschafterversammlung als solcher genügen.

(b) Individuelle Kenntniserlangung

 

Rz. 288

Unbeschadet des Erfordernisses der Kenntnis aller Gesellschafter besteht eine vorgelagerte Obliegenheit der einzelnen Mitglieder des zuständigen Gremiums, schon bei ihrer individuellen Kenntniserlangung, das zuständige Gremium einzuberufen (vgl. KG v. 11.3.2005 – 14 U 137/03, AG 2005, 737 im Fall eines Vorstands). Die dann zu beachtende Einberufungsfrist ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden. Die individuelle Einberufungsfrist/Ladungsfrist nach dem Gesellschaftsvertrag zu einer Gesellschafterversammlung kann sehr unterschiedlich sein (s. auch unten Rdn 292). Wenn die Einberufung der Gesellschafterversammlung von den einberufungsberechtigten Mitgliedern unangemessen verzögert wird, muss sich die Gesellschaft so behandeln lassen, als wäre die Gesellschafterversammlung mit der zumutbaren Beschleunigung einberufen worden (vgl. BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11). Es empfiehlt sich, analog § 626 Abs. 2 BGB die Zwei-Wochen-Frist einzuhalten. Ein Zeitraum von 2 1/2 Monaten nach individueller Kenntniserlangung ist jedenfalls zu lang (vgl. OLG München v. 14.7.2005 – 6 U 5444/04, AG 2005, 737 = ZIP 2005, 1781 im Fall der Frist zwischen der Kenntniserlangung des Aufsichtsratsvorsitzenden von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen und der Einberufung des Aufsichtsrats).

(c) Qualität der Kenntnis

 

Rz. 289

Weiterhin bedeutsam ist die Qualität der Kenntnis. Der Kündigungsberechtigte muss zu Beginn der Frist eine sichere und umfassende Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen haben. Solche Tatsachen liegen dann vor, wenn alles in Erfahrung gebracht ist, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Geschäftsführervertrages anzusehen ist (vgl. BGH v. 2.7.2090 – II ZR 155/18, juris Rn 30; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11; BGH v. 26.2.1996 – II ZR 114/95, DB 1996, 1030 = NJW 1996, 1403; BGH v. 24.1.1975, DB 1976, 249 = WM 1976, 77). Kennenmüssen oder grobfahrlässige Unkenntnis genügt nicht (vgl. BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11). Auslöser ist im Regelfall ein begründeter Verdacht, der aber noch keine Kenntnis begründet, vielmehr weitere Ermittlungen wie die Beauftragung einer Sonderprüfung veranlasst (vgl. OLG Jena v. 12.8.2009, GmbHR 2010, 376). Die Frist läuft nicht, soweit es noch weiterer Ermittlungen bedarf oder der Geschäftsführer noch angehört werden muss, bspw. bei einer Verdachtskündigung (vgl. zu den Grundsätzen BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, DB 2008, 709 = BB 2008, 721).

(d) Anhörung

 

Rz. 290

Ein Sonderthema stellt die im Geschäftsführervertrag vereinbarte "gewillkürte Anhörungsklausel" dar, die durchaus praxisrelevant ist. Sie bedeutet bei entsprechender Formulierung, dass der Geschäftsführer vor Ausspruch einer Kündigung durch das zuständige Gremium anzuhören ist. Eine solche vereinbarte Anhörungspflicht ist Wirksamkeitsvoraussetzung. Eine ohne Beachtung der Anhörung ausgesprochene Kündigung wäre unwirksam (vgl. KG v. 27.9.2004 – 2 U 191/02, MDR 2005, 561 = AG 2005, 205 im Fall der außerordentlichen Kündigung eines Vorstandsvertrags).

 

Rz. 291

Muster 16.16: Vertragliche Vereinbarung zur Anhörung des GF vor einer a.o. Kündigung

 

Muster 16.16: Vertragliche Vereinbarung zur Anhörung des GF vor einer a.o. Kündigung

Die Kündigung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund durch die GmbH darf nur ausgesprochen werden, wenn dem Geschäftsführer zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist (ggf. Zusatz: Der Verstoß gegen diese Anhörungspflicht führt zur Nichtigkeit der außerordentlichen Kündigung.)

oder

Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund durch die GmbH ist unwirksam, wenn dem Geschäftsführer nicht zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben ist

(e) Pflicht zu zügigen Ermittlungen

 

Rz. 292

Weitere Voraussetzung ist, dass die Ermittlungen zügig durchgeführt werden bzw. der Ges...

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