Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 913
Mit dem "Gesetz zur Förderung der Selbstständigkeit" v. 20.12.1999 ist erstmals ein (freiwilliges/optionales) Anfrageverfahren zur Statusklärung in § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV eingeführt worden (sog. optionales Anfrageverfahren).
Rz. 914
Mit Wirkung zum 1.4.2022 hat der Gesetzgeber mit der Reform des Statusfeststellungsverfahrens zum Erwerbsstatusverfahren § 7a SGB IV n.F. neu gefasst (Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie [EU] 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung anderer Gesetze vom 16.7.2021, BGBl I 2021, 2970, 2990). Das Erwerbsstatusverfahren (= Antrag auf Feststellung des Erwerbsstatus) soll nach der Intention des Gesetzgebers Erwerbstätige und ihre Auftraggeber vor den Risiken einer falschen Statuseinschätzung, also vor den Konsequenzen der Scheinselbstständigkeit, schützen (BT-Drucks 19/29893, 27; kritisch Bissels/Falter/Joch, ArbRAktuell 2021, 485).
Hinweis
Das sozialversicherungsrechtliche Antragsverfahren zur Klärung des Erwerbsstatus nach § 7a SGB IV prüft nur den sozialversicherungsrechtlichen (Erwerbs-)Status, nicht den arbeitsrechtlichen Status und nicht den steuerrechtlichen Status!
Rz. 915
Jeder Beteiligte ist berechtigt, das Anfrageverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zu beantragen (vgl. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger v. 1.4.2022, Nr. 4.1 Abs. 3 S.1, www.deutsche-rentenversicherung-bund.de). Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist allein zuständig. Der Entscheidung ist gem. § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV schriftlich oder elektronisch zu beantragen. Erforderlich dazu ist, das von der DRV vorgeschriebene Formular V0027 i.d.F. v. 1.4.2022 auszufüllen (vgl. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger v. 1.4.2022, Nr. 4.2 Abs. 1 S.1).
Rz. 916
Die Neuerungen zum 1.4.2022 zeigen sich bereits in der neuen Überschrift des § 7a SGB IV n.F. Diese lautet nicht mehr "Anfrageverfahren" sondern "Feststellung des Erwerbsstatus". Damit wird der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG v. 26.2.2019 – B 12 R 8/18 R, juris; BSG v.11.3.2019 – B 12 R 11/07 R, juris) Rechnung getragen, wonach bisher in dem Verfahren nach § 7a SGB IV n.F. nicht über das Vorliegen einer Beschäftigung isoliert entschieden werden konnte, sondern ausschließlich über die Versicherungspflicht (aufgrund abhängiger Beschäftigung) in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung (BT-Drucks 19/29893, 27). Mit der Reform soll – auch im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung – zukünftig nur über den Erwerbsstatus als Element einer möglichen Versicherungspflicht entschieden werden, und nicht mehr über die Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung (vgl. Richter, DStR 2021, 2080).
Rz. 917
Praxistipp zur Risikominimierung durch Feststellung des Erwerbsstatus
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Nur durch eine verbindliche Entscheidung der DRV Bund im Erwerbsstatusverfahren nach § 7a SGB IV lässt sich beitragsrechtliche Sicherheit erlangen. |
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Kommt die DRV Bund zu dem Ergebnis, dass echte Selbstständigkeit gegeben ist, sind andere Versicherungsträger (wie die Einzugsstellen und die Rentenversicherungsträger bei Betriebsprüfungen) gem. § 7a Abs. 2 S.4 SGB IV an die Entscheidung der DRV Bund gebunden (Bindungswirkung). Das war bisher unklar (vgl. Körner, NZA 2019, 278, 280; Diepenbrock/Plambeck, NZS 2021, 865, 867). |
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Die Bindungswirkung gilt für alle Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung Bund in Verfahren nach § 7a Abs. 1, 2 SGB IV. |
Rz. 918
Aufgrund der Komplexität der Thematik werden vielfach spezialisierte Rechtsanwälte hinzugezogen. Umstritten ist, ob auch Steuerberater die Vertretungsbefugnis im Anfrageverfahren nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV haben. Nach SG Aachen sind diese in Statusverfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung Bund von der Vertretung ausgenommen (vgl. SG Aachen v. 27.11.2009 – S 6 R 217/08, DStR 2010, 76 = Stbg 2010, 92; a.A. Gahle, DB 2011, 1622; Pestke/Reibel, Stbg 2010, 36; Beyer-Petz, DStR 2010, 77). Diese Auffassung des SG Aachen hat das BSG bestätigt. Danach kann ein(e) Steuerberater(in) nicht in einem Verfahren nach § 7a SGB IV als Bevollmächtigte(r) auftreten (vgl. BSG v. 5.3.2014 – B 12 R 4/12 R).
Rz. 919
Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV sind durch das Arbeitsverhältnis veranlasst und deshalb als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit zu berücksichtigen (vgl. BFH v. 6.5.2010 – VI R 25/09, NZA 2011, 142 = DB 2010, 1564).
Rz. 920
Neben dem freiwilligen Erwerbsstatusverfahren gibt es – insoweit unverändert – das (verpflichtende/obligatorische) Verfahren der Einzugsstelle auf bestimmte – dem Arbeitgeber nahestehende – Personengruppen (sog. obligatorisches Antragsverfahren; s. oben GmbH-GmbH-Geschäftsführer u. Angehörige Rdn 390, 391 ff.). Gem. § 7a Abs. 1 S. 2 SGB IV hat die Einzugsstelle einen Antrag nach § 7a Abs. 1 S. 1 SGB IV zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Ar...