Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 1448
Eine Beschränkung der Grundfreiheiten i.S.d. § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ist dann nicht gegeben, wenn sie dem gesetzlichen Leitbild des Handelsvertreters entspricht (LAG Hamm v. 11.5.2000 – 4 Sa 1694/98, EversOK Ls. 32; LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 58 = BB 1999, 793; vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz v. 28.5.1998 – 5 Sa 1392/97, EversOK Ls. 27). Schränken also Vertrag oder Weisung zwar die Grundfreiheiten einer Vertriebsperson zur Arbeitszeit- und Tätigkeitsgestaltung ein, entsprechen die Beschränkungen aber dem gesetzlich vorgegebenen Leitbild des Handelsvertreters (vgl. BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, DB 2000, 879; LAG Hamm v. 28.4.2006 – 2 Ta 871/05, EversOK Ls. 3) und insbesondere den ihm nach Maßgabe der §§ 84 ff. HGB obliegenden Pflichten (vgl. BAG v. 20.9.2000 – 5 AZR 271/99, EversOK Ls. 14; BAG v. 15.12.1999, VersR 2000, 1365 = EversOK Ls. 22 – GdF Wüstenrot 4; LAG Köln v. 23.10.1998 – 12 (2) Sa 779/98, EversOK Ls. 17) oder handelt es sich um gesetzlich vorgegebene Rahmenbedingungen der selbstständigen Gewerbetreibenden, sind diese Einschränkungen a priori zur Abgrenzung des Handelsvertreters von der angestellten Vertriebskraft ungeeignet. Ansatzpunkt für die Ermittlung des Leitbildes sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Tätigkeit des Handelsvertreters, die einerseits durch die Vorschriften der §§ 84 ff. HGB gesteckt werden, andererseits aber auch anderen gesetzlichen Regelungen zu entnehmen sind, wie bspw. den Vorschriften der §§ 59 ff. VVG und der §§ 1, 3 UWG. Erst dann, wenn die vertragliche Handhabung zwischen den Parteien stärkere Einschränkungen vorsieht als sie aufgrund gesetzlicher Regelungen und Obliegenheiten geboten sind, kann dies die Annahme eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (LAG Rheinland-Pfalz v. 28.5.1998 – 5 Sa 1392/97, EversOK Ls. 28; bestätigt durch BAG v. 15.12.1999, EversOK Ls. = VersR 2000, 1365; LAG Hamm v. 11.5.2000 – 4 Sa 1694/98, EversOK Ls. 34 – DEVK 2).
Rz. 1449
Darüber hinaus liegt auch dann kein Eingriff in die Grundfreiheiten des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB vor, wenn den Parteien die Beschränkungen von dritter Seite verbindlich vorgegeben werden. Solche Beschränkungen sind unbeachtlich, weil sie nicht auf dem Willen der Vertragsparteien beruhen (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 62 = BB 1999, 793), und sie jeden betreffen, der die Vertriebstätigkeit ausübt, ohne Rücksicht darauf, ob er seine Tätigkeit als angestellte Vertriebskraft oder Handelsvertreter verrichtet. Das nach § 84 Abs. 1 S. 2 HGB erforderliche Maß der rechtlichen Befugnis der Vertriebsperson, Arbeitszeit und Tätigkeit zu gestalten, bezieht sich ausschließlich auf das Ergebnis der Vertragsverhandlungen der Parteien. Aus diesem Grunde können in § 84 Abs. 1 S. 2 HGB nur diejenigen Positionen angesprochen sein, deren Regelungen zwischen den Parteien verhandelbar sind (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 62 = BB 1999, 793), nicht aber solche, die sich zwangsläufig aus dem, dem Handelsvertreter zugewiesenen Einsatzbereich ergeben (vgl. zur Bindung an die Öffnungszeiten eines Kaufhaueses BGH v. 11.3.1982, EversOK Ls. 4 = NJW 1982, 1757).
Rz. 1450
Ist der Verhandlungsspielraum der Parteien eingeschränkt, weil Vorgaben bestehen (z.B. Wettbewerbsrichtlinien der Versicherungswirtschaft, aufsichtsbehördliche Anordnungen, Dokumentationspflichten, gesetzliche Regelungen oder einschlägige Judikatur), so sind diejenigen Vereinbarungen und Weisungen bei der Beurteilung des Entscheidungsspielraumes unbeachtlich, die diese Vorgaben lediglich umsetzen (LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. 62 = BB 99, 793). Unter diesem Aspekt sind auch Einschränkungen der Freiheiten der Vertriebsperson für die statusrechtliche Betrachtung unbeachtlich, die auf den Wünschen der Kunden beruhen (LAG Baden-Württemberg v. 3.2.1999, EversOK Ls. 5; LAG Nürnberg v. 26.1.1999, EversOK Ls. = BB 1999, 793; LAG Saarland v. 14.5.1996 – 3 (1) Sa 257/95, EversOK Ls. 12 m.w.N.; BFH v. 2.12.1998, EversOK Ls. 20 = BFHE 188, 101; a.A. ArbG Saarlouis v. 15.11.1995 – 3 (1) Ca 597/94, EversOK Ls. 13). Dass selbst geworbene Kunden nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit aufgesucht werden können, begründet einen faktischen Zwang, der die Möglichkeit der freien Bestimmung der Arbeitszeit unberührt lässt (BAG v. 15.12.1999, EversOK Ls. 7 = BB 2000, 932; LAG Hamm v. 20.9.2004 – 2 Ta 644/03, EversOK Ls. 6; LAG Rheinland-Pfalz v. 4.8.2016 – 5 Sa 54/16, EversOK Ls. 13). Unabhängig davon wird die Arbeitszeithoheit der Vertriebsperson insoweit schon deshalb nicht in statuserheblicher Weise tangiert, weil sie die Termine mit den Kunden vereinbart und hierbei letztlich autonom entscheidet, wann sie tätig wird und wann nicht (LAG Düsseldorf v. 3.3.1998 – 8 Sa 1801/96, EversOK Ls. 30).
Rz. 1451
Umstritten ist, ob bei der Prüfung, ob eine statuserhebliche Beschränkung vorliegt, auch solche Umstände von vornherein außer Betracht zu lassen sind, die sich aus der Natur der Sache ergeben (zust. BAG v. 21.1.1966, BAGE 18, 87 = EversOK Ls. 13; einschränkend dagegen...