Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 692
Für die sofortige Vertragsbeendigung ist eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages erforderlich. Diese ist nur wirksam, wenn die strengen Voraussetzungen des § 626 BGB erfüllt sind. Anderenfalls endet das Anstellungsverhältnis mit der Dauer, für das es eingegangen ist. Einer Abmahnung bedarf es nicht. Dies entspricht der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung. § 314 Abs. 2 BGB gibt keinen Anlass, hiervon abzuweichen, da die Arbeitgeberfunktion des Vorstandes ein besonderer Umstand i.S.v. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist, auf den § 314 Abs. 2 S. 2 BGB verweist (vgl. BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, AG 2007, 699). Ein wichtiger Grund für den Widerruf der Bestellung zum Vorstandsmitglied rechtfertigt daher nicht zwingend auch die fristlose Kündigung des Vorstandsdienstvertrages nach § 626 Abs. 1 BGB. Es ist stets in Abwägung der wechselseitigen Interessen zu prüfen, ob ein für den Widerruf der Bestellung ausreichender Grund auch den Wegfall der Vergütungsansprüche aus dem Dienstvertrag rechtfertigt (vgl. OLG München v. 14.3.2012 – 7 U 681/11). Ein vom Vorstandsmitglied nicht verschuldeter Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung, der für den Widerruf der Bestellung genügt (s. oben Rdn 677), reicht nicht als Voraussetzung für das Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.v. § 626 BGB. Denn ein solcher Vertrauensentzug kann bereits auf rein sachlichen Meinungsverschiedenheiten über die Geschäftspolitik der Gesellschaft beruhen. Es ist immer möglich, dass unterschiedliche Ansichten vertreten werden.
Rz. 693
Insofern unterscheidet sich § 84 Abs. 4 S. 2 AktG von der Regelung in § 626 BGB, als für § 626 BGB regelmäßig nur wichtige Gründe in Betracht kommen, die in der Person des Vorstandsmitgliedes begründet sind. Vor allem kommen erhebliche Dienstpflichtverletzungen, Treuepflichtverletzungen oder strafbare Handlungen wie Annahme von Schmiergeldern, Ausübung einer Konkurrenztätigkeit, betrügerische Bilanzmanipulationen, Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, Nutzung von Personen- oder Sachmitteln der AG für persönliche Zwecke u.a. in Betracht. Der Verstoß gegen schriftlich konkretisierte Grundsätze der Datensicherheit, wie das Verbot der Kommunikation über den privaten E-Mail-Account, rechtfertigt die fristlose Kündigung eines Vorstands nicht, wenn diese Verfahrensweise auch bei den anderen Vorständen üblich ist (OLG Celle v. 25.5.2011, AG 2011, 916). Letztlich liegt ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nur dann vor, wenn der AG nach Abwägung der beiderseitigen Interessen und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles eine Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses mit dem Vorstandsmitglied bis zur ordentlichen Beendigung der Amtszeit nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, DB 2007, 158 = BB 2007, 174). Bei dieser Interessenabwägung sind auch die Verdienste des Vorstandsmitgliedes für die Gesellschaft, die bisherige und noch verbleibende Dauer der Amtszeit, die Wiederholungsgefahr sowie der Grad des Verschuldens zu berücksichtigen (vgl. BGH v. 9.11.1992 – II ZR 234/91, NJW 1993, 463 = GmbHR 1993, 33).