Zerrüttetes Mietverhältnis reicht allein nicht für fristlose Kündigung
In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung hat der BGH die Streitfrage geklärt, ob die nachhaltige Zerrüttung eines Mietverhältnisses allein eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen kann. Der BGH hat die Frage klar verneint. Nach der Entscheidung des BGH ist darüber hinaus erforderlich, dass die Zerrüttung zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist.
Fristlose Kündigung war unzulässig
Im entschiedenen Fall hat der BGH die seitens eines Vermieters erklärte fristlose Kündigung der Mieter wegen einer Zerrüttung des Mietverhältnisses und einer nachhaltigen Störung des Hausfriedens für unzulässig erachtet, da der Vermieter nicht nachgewiesen hat, dass die Zerrüttung auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Mieter beruht.
Über Jahre schwelten Mietstreitigkeiten
Die beklagten Mieter bewohnen eine im 1. Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegene 4-Zimmerwohnung, die Kläger bewohnen eine Wohnung im Erdgeschoss. Über mehrere Jahre kam es zu regelmäßigen Auseinandersetzungen der Parteien wegen angeblicher beidseitiger Vertragsverletzungen. Hierbei ging es um Verstöße gegen die Haus- und Reinigungsordnung, um Lärmbelästigungen, um fehlerhaftes Abstellen und Befüllen von Mülltonnen und um Parken vor Einfahrten.
Fristlose Kündigung nach Strafanzeige
Darüber hinaus hatten die Mieter eine Strafanzeige gegen die Vermieter wegen Verleumdung und wegen Beleidigungen im Treppenhaus (Titulierung als „Penner“ u. ä.) gestellt. Die Kläger hatten daraufhin gegenüber den Beklagten das Mietverhältnis fristlos gekündigt und Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung eingereicht. Der Klage blieb über sämtliche Instanzen der Erfolg versagt.
Nachhaltige Störung des Hausfriedens als wichtiger Kündigungsgrund
Maßgebliche rechtliche Anknüpfungspunkte für die Entscheidung des BGH sind §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB. Danach kann ein Mietverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden, wenn
- dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls,
- insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und
- unter Abwägung der beiderseitigen Interessen
- die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Gemäß § 569 Abs. 2 BGB kann in einer nachhaltigen Störung des Hausfriedens ein solcher wichtiger Grund liegen.
Im Mietverhältnis gilt Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme
Nach der Rechtsprechung des BGH setzt eine nachhaltige Störung des Hausfriedens voraus, dass eine Mietpartei die gemäß § 241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht verletzt hat, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter und ggf. der im Haus lebende Vermieter nicht mehr als unvermeidlich gestört werden (BGH, Urteil v. 18.2.2015, VIII ZR 186/14 und Urteil v. 22.6.2021, VIII ZR 134/20).
Zerrüttung als alleiniger Grund für fristlose Kündigung bisher umstritten
Der BGH stellte klar, dass im Wohnraummietrecht eine Zerrüttung des Mietverhältnisses und eine Störung der Vertrauensgrundlage der Vertragsparteien allein nicht ausreicht, um einer Mietvertragspartei das Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Verhältnisses zuzubilligen. Die gegenteilige, in der Literatur und teilweise in der Instanzrechtsprechung vertretene Ansicht (OLG Dresden, Urteil v. 23.6.2021, 5 U 2366/20) entspreche nicht dem Wortlaut des § 543 Abs. 1 BGB, wonach auch das Verschulden der Vertragsparteien bei der Abwägung eine Rolle spiele.
Grundsätze zur fristlosen Kündigung von Dauerschuldverhältnissen
Die Annahme eines Kündigungsgrundes allein in der Zerrüttung des Vertragsverhältnisses widerspreche auch der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Vorliegen eines wichtigen Grundes bei der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen gemäß § 626 Abs. 1 BGB. Hiernach sei ein, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigender Grund nur dann gegeben, wenn der die Kündigung stützende Kündigungsgrund im Risikobereich des anderen Vertragsteils liegt (BGH, Urteil v. 19.4.2023, XII ZR 24/22).
Pflichtwidriges Verhalten der Beklagten nicht nachgewiesen
Nach der Entscheidung des BGH war im konkreten Fall das Vertrauensverhältnis der Parteien zwar zerrüttet, jedoch hätten die Kläger nicht nachgewiesen, dass ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten maßgeblich zu dieser Zerrüttung des Mietverhältnisses beigetragen habe.
Bei Strafanzeige sind die Umstände des Einzelfalls zu würdigen
Die seitens der Beklagten erstattete Strafanzeige gegen die Kläger war nach Auffassung des Senats kein die Kündigung rechtfertigender Grund. Zwar könne eine Strafanzeige, die grundlos oder unter wissentlich oder leichtfertig erhobenen falschen Beschuldigungen gestellt wird, im Einzelfall eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Dies gelte aber nicht im vorliegenden Fall, da der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass die in der Strafanzeige gegen ihn erhobenen Vorwürfe grundlos erhoben worden wären. Auch hätten einige der erhobenen Vorwürfe nicht ein solches Gewicht, dass sie das Vertrauensverhältnis der Parteien nachhaltig zerstören könnten.
Räumungsklage abgewiesen
Im Ergebnis hatten die Kläger nach Auffassung des BGH nicht hinreichend dargelegt und bewiesen, dass die Gründe für die entstandene Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses der Parteien zumindest auch maßgeblich auf ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten zurückzuführen waren. Die erklärte fristlose Kündigung des Mietverhältnisses war daher nach der Entscheidung des BGH nicht gerechtfertigt, die Räumungsklage damit abzuweisen.
(BGH, Urteil v. 29.11.2023, VIII ZR 211/22)
Hintergrund:
Mit seiner aktuellen Entscheidung hat der BGH seine Rechtsprechung zum Gewerberaummietrecht auf die Wohnraummiete übertragen. Für die fristlose Kündigung von Gewerberaum hatte der BGH bereits früher entschieden, dass im Rahmen der Fallgruppe „Zerrüttung des Mietverhältnisses“ das Recht zur fristlosen Kündigung voraussetzt, dass der andere Vertragsteil die tragende Vertrauensgrundlage des Mietverhältnisses derart gestört hat, dass dem Kündigenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zu einer ordentlichen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann (BGH, Urteil v. 15.9.2010, XII ZR 188/08).
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