Dachlawine: Haftung bei fehlendem Schneefanggitter?

Das Oberlandesgericht Hamm hat Stellung dazu bezogen, inwieweit Grundstückseigentümer zum Schutz vor Dachlawinen Schneefanggitter errichten müssen.

Autobesitzerin verklagte Grundstückseigentümerin auf Schadensersatz

Nachdem eine Kfz-Halterin bei starkem Schneefall ihr Auto in der Nähe eines Hauses in der Umgebung von Dortmund abgestellt hatte, kam es am nächsten Tag aufgrund einer extremen Wetterlage zum Abgang einer Dachlawine. Aufgrund der damit verbundenen Beschädigung ihres Wagens verklagte sie die Eigentümerin des Grundstücks auf Schadensersatz und berief sich darauf, dass sie ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht hinreichend nachgekommen sei. Das ergebe sich daraus, dass die Grundstückseigentümerin das Dach nicht mit einem Schneefanggitter versehen hatte. Hierzu war sie nach ihrer Ansicht verpflichtet gewesen, weil es aufgrund der starken Neigung des Daches von angeblich mehr als 45 Grad schnell zu einer Dachlawine kommen konnte. Zumindest hätte die Eigentümerin Warnschilder aufstellen müssen.

Wie das Gericht entschieden hat

Das Oberlandesgericht Hamm stellte im Einklang mit der Vorinstanz klar, dass ein Anspruch gegen die Grundstückseigentümerin auf Schadensersatz wegen der Dachlawine wegen unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB ausscheidet (Urteil vom 29.02.2024 – 7 U 72/22). Denn sie hatte nach Ansicht der Richter nicht ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Normalerweise keine Pflicht zur Montage eines Schneegitters

Das ergebe sich daraus, dass Eigentümer normalerweise nicht zum Anbringen eines Schneefanggitters verpflichtet sind. Etwas anderes könne sich nur daraus ergeben, wenn sie ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände verpflichtet sind. Selbst wenn eine Dachneigung von mehr als 45 Grad bestehe, habe die Eigentümerin deshalb keine Schneefanggitter montieren müssen, weil es sich beim Ruhrgebiet in der Regel um eine schneearme Gegend handelt. Ebenso wenig sei die Montage eines Schneefanggitters hier ortsüblich oder behördlich angeordnet worden.

Kein Warnschild erforderlich

Darüber hinaus habe der Grundstückseigentümer hier Warnschilder anbringen müssen. Gegen einen Anspruch spreche bereits, dass für die Autofahrerin die Gefahrenlage aufgrund der heftigen Schneefälle und der Schräge der Dachneigung erkennbar gewesen sei. In dieser Situation sei der Eigentümer nicht verpflichtet, vor einer Gefahr zu warnen.

Keine Pflicht aufgrund von Rechtsverordnung/Satzung

Das Gericht verneinte auch einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 35 Abs. 8 LBauO-NRW (alte Fassung bis 31.12.2018). Diese Bestimmung lautete wie folgt: Bei Dächern an Verkehrsflächen und über Eingängen können Vorrichtungen zum Schutz gegen das Herabfallen von Schnee und Eis verlangt werden. Laut OLG Hamm war nicht ersichtlich, dass der Grundstückseigentümer gegen eine Bestimmung der ordnungsbehördliche Satzung der Gemeinde verstoßen habe, die ein Schneefanggitter bei Schneeüberhang oder bei Eiszapfen vorsah.

Einordnung der Entscheidung

Diese Entscheidung steht im Einklang mit der einschlägigen Instanzrechtsprechung, wonach normalerweise keine Verkehrssicherungspflicht zur Anbringung von Schneefanggittern besteht. Das gilt besonders für schneearme Gegenden (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 14.8.2012; Thüringer OLG, Urteil v. 20.12.2006, 4 U 865/05; LG Karlsruhe, Urteil v. 14.11.1997, 9 S 306/97; OLG Köln, Beschluss v. 20.1.2012, 19 U 167/11; OLG Düsseldorf, Urteil v. 6.6. 2013, I-10 U 18/13). Etwas anderes kann sich jedoch aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben.

So hat das Landgericht Ulm in einem Fall eines Daches mit einer Neigung von 60 Grad in einer „nicht schneearmen“ Gegend eine Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers bejaht (LG Ulm, Urteil v. 31.5.2006, 1 S 16/06). Eine Verkehrssicherungspflicht aufgrund einer Gefährdung komme insbesondere bei Dächern mit großer Höhe und einer Neigung von mehr als 45 Grad, in schneereichen Gebieten bereits bei einer Neigung von mehr als 35 Grad in Betracht.

Allerdings kürzten die Richter den Schadensersatzanspruch um 50 % wegen Mitverschuldens. Dies begründeten die Richter damit, dass sich die Bürger in schneereichen Gegenden mit Dachlawinen auskennen. Darüber hinaus sei der Eigentümer hier ortskundig gewesen.

Praxishinweis

Gebäudeeigentümer sollten vorab prüfen, ob sie zur Montage eines Schneefanggitters verpflichtet sind, ehe ein Schaden wegen einer Dachlawine eintritt. Außer besonderen Umständen – wie einer starken Neigung des Daches oder einer abweichenden Rechtsprechung des jeweiligen Amts- oder Landgerichtsbezirkes kann sich eine solche Pflicht aus der Rechtsverordnung des betreffenden Bundeslandes ergeben. Beispielsweise müssen nach § 35 Abs. 8 Satz 1 Bauordnung für Berlin (BauO Bln) geneigte Dächer Vorrichtungen zum Schutz gegen das Herabfallen von Schnee und Eis haben, soweit sie an Verkehrsflächen angrenzen. Ebenso sieht es in Brandenburg aus gem. § 32 Abs. 9 der Brandenburgische Bauordnung (BbgBO)). Darüber hinaus sollten sie überprüfen, inwieweit die jeweilige Gemeindesatzung eine Verpflichtung zum Anbringen eines Schneefanggitters enthält.

(OLG Hamm, Urteil v. 29.2.2024, 7 U 72/22)