Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 236
Die Kündigung des Geschäftsführerdienstvertrages kann durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung erfolgen. Erforderlich ist in beiden Fällen ein wirksamer Beschluss des zuständigen Gremiums (siehe oben Rdn 186 ff.) sowie der Zugang des Beschlusses bei dem Geschäftsführer (siehe oben Rdn 192). Schriftform ist nicht erforderlich (vgl. Moll, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, § 80 Rn 89). Das Schriftformerfordernis des § 623 BGB gilt nur für Arbeitsverhältnisse. In der Regel ist jedoch im Geschäftsführerdienstvertrag die Schriftform vereinbart, was der Rechtssicherheit dient. Die vertragliche Vereinbarung der Schriftform für Kündigungen, unabhängig durch welche Seite, ist auch nach Änderung des § 309 Nr. 13 BGB mit Wirkung zum 1.10.2016 für Neuverträge weiterhin zulässig. Dies folgt aus § 307 Abs. 3 S. 1 BGB i.V.m. § 623 BGB.
aa) Ordentliche Kündigung des Geschäftsführervertrags durch die GmbH/Koppelungsklauseln – Abfindung/Überbrückungsgeld
(1) Kündigung ohne Kündigungsgrund – negative Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG
(a) Gesetz und Rechtsprechung
Rz. 237
Die ordentliche Kündigung des unbefristeten Geschäftsführerdienstvertrages durch die GmbH ist grundsätzlich ohne das Vorliegen eines Kündigungsgrundes unter Beachtung der gesetzlichen bzw. vereinbarten Kündigungsfristen möglich (vgl. BGH v. 3.11.2003 – II ZR 158/01, GmbHR 2004, 57 = NJW-RR 2004, 540; vgl. aber zur Anwendung von Arbeitnehmerschutzvorschriften aufgrund von EU-Richtlinien durch die Rspr. des EuGH, BGH, BAG, oben Rdn 148 ff., und nachfolgend Rdn 238). Der GmbH-Geschäftsführer hat grundsätzlich gem. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz (vgl. BAG v. 21.9.2017 – 2 AZR 865/16, juris negative Fiktion; BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, NZA 2008, 193 = DB 2008, 355; BAG v. 17.1.2002, NZA 2002, 854 = DB 2002, 1945; BGH v. 25.7.2002, NZA 2002, 1040 = NJW 2002, 3104). Dies setzt allerdings voraus, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht europarechtswidrig ist (vgl. zur Entwicklung oben Rdn 163 ff., und nachfolgend Rdn 238). Wäre § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG europarechtswidrig, wäre ein Kündigungsgrund nach § 1 KSchG erforderlich. Lediglich in der mitbestimmten GmbH ist die ordentliche Kündigung grds. an einen wichtigen Grund geknüpft (zum Sonderkündigungsschutz nach der Rspr. des EuGH, s. oben Rdn 162 ff. und unten Rdn 245 und 270).
(b) Stellungnahme und Ausblick zu zukünftigen Entwicklungen bzgl. der "Einschränkungen der Kündbarkeit des Geschäftsführers ohne Kündigungsgrund"
Rz. 238
Konkrete Anhaltspunkte zu einer Weiterentwicklung des Kündigungsschutzes des GmbH-Geschäftsführers gibt es sowohl vom EuGH als auch vom BAG:
Aufgrund der Danosa-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, juris) ist zunächst davon auszugehen, dass alle auf Unionrecht basierenden Arbeitnehmerschutzvorschriften Anwendung finden (s. zu den Einzelheiten nachfolgend Rdn 241). Es dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein, dass darüber hinaus – ggf. mit Modifikationen (s. oben Rdn 166) – auch der materielle Kündigungsschutz für persönlich abhängige Fremd-GF und Minderheitsgesellschafter-GF zur Anwendung kommt. In diese Richtung zeigt die konsequente Weiterführung der EuGH-Rspr. in der Balkya-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, juris Balkya) sowie der Holtermann-Entscheidung des EuGH (vgl. EuGH v. 10.9.2015 – Rs. C-47/14, juris Holtermann).
Rz. 239
Auch das BAG (vgl. BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 34) deutet an, dass es sich mit der Frage des Kündigungsschutzes des GmbH-Geschäftsführers intensiver beschäftigen könnte. Diese mögliche Intention des BAG ist recht versteckt in einer Entscheidung des BAG zu finden, die in dem nachfolgenden Hinweis wörtlich aufgeführt ist und wie folgt lautet:
Hinweis: Obiter dictum des BAG zur vielleicht nicht wirksamen Kündigung des GmbH – Geschäftsführers bei "Nichtvorliegen eines Kündigungsgrundes"
Im Urteil vom 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 34 S. 4 führt der 2. Senat des BAG bemerkenswerterweise Folgendes aus (Hervorhebungen des Verfassers):
Zitat
…Ob die ordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers einer GmbH mit Rücksicht auf seine Vertrauensstellung als organschaftlichen Vertreter der Gesellschaft mit Unternehmerfunktion – sofern ihre formellen Voraussetzungen erfüllt sind – auch dann wirksam ist, wenn sie sich auf keinen anderen Grund als den Willen des kündigungsberechtigten Organs stützen kann (vgl. BGH 3. November 2003 – II ZR 158/01 – zu II der Gründe), bedarf deshalb hier keiner Entscheidung
(vgl. BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 34 S. 4).
Daraus lässt sich folgern, dass das BAG zukünftig, soweit diesbezügliche Fälle zum Kündigungsschutz von GmbH-Geschäftsführern zur Entscheidung anstehen sollten, die unter die Zuständigkeit des BAG fallen, die Thematik mit neuen Akzenten versehen könnte. Die Frage wird sein, wie diese Akzente aussehen könnten.
Rz. 240
M.E. könnte dies über den Weg erfolgen, dass § 14 Abs. 1 S. 1 KSchG europarechtskonform so auszulegen ist, dass darunter nur Mehrheitsgesellschafter-GF und nicht persönlich abhängige Geschäftsführer fallen, also nur "echte GF" vom Kündigungsschutz ausgeschlossen sind. Persönlich abhängige Geschäftsführer, die am Maßstab der tatsächlichen Gegebenheiten gemessen vielfach keine wirklichen GF-Befugnisse oder sogar weniger Befugnis...