Rz. 1043

Die Thematik der Rückabwicklung der Umsatzsteuer ist komplex. Wird der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters rückwirkend festgestellt, so kann nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg der Dienstberechtigte die auf die Rechnungen des vermeintlich Freien Mitarbeiters an diesen gezahlte Umsatzsteuer im Wege der Leistungskondiktion zurückverlangen. Es nicht darauf zu verweisen, die zu Unrecht an den Mitarbeiter gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt im Rahmen seiner Umsatzsteuererklärung erstattet zu erhalten. Ein Fall der (zwingenden) Durchgriffskondiktion liege nicht vor, vielmehr könne der Gläubiger eine Rückabwicklung "über Eck" verlangen (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 22.5.2019 – 21 Sa 74/18, juris Ls. 1). M.E. erscheint fraglich, ob sich diese Auffassung mit Blick auf die praktische Umsetzung mit den jeweiligen Vorsteuerabzügen und § 14c Abs. 2 UStG (Beseitigung des im Wege des Vorsteuerabzugs eingetretenen Steuerverlustes) durchsetzen wird.

 

Rz. 1044

Umsatzsteuerrechtliche Konsequenzen ergeben sich jedenfalls für den Arbeitgeber hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug, soweit im Rahmen der Gesamtwürdigung (vgl. zur Gesamtwürdigung bei USt: BFH v. 22.6.2016 – V R 46/15, juris Rn 21) bei der Beurteilung des Gesamtbildes (vgl. zum Gesamtbild für die USt: BMF v. 29.3.2022, UStAE Abschn. 2.2 (1) mwN.; BFH v. 16.5.1995, BFH/NV 1995, 1103) eine unselbstständige Tätigkeit festgestellt wird. Ob jemand Unternehmer im Sinne des UStG ist, hängt von der Beurteilung der einzelnen Merkmale ab, die für und gegen die Selbstständigkeit der Tätigkeit sprechen (vgl. BFH v. 21.6.2017 – V R 29/16, Ls u. Rn 13). Denn der Arbeitgeber ist nur dann zum Vorsteuerabzug gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG berechtigt, wenn die USt von einem Unternehmer gesondert in Rechnung gestellt worden ist. Zweifel an der Unternehmereigenschaft des "Freien Mitarbeiters" gehen zulasten des Arbeitgebers als Leistungsempfänger. Dieser trägt die objektive Beweislast (vgl. BFH v. 19.10.1978 – V R 39/75, DB 1979, 1210 = BStBl II 1979, 345). Gelingt dem Arbeitgeber nicht der Nachweis, ist er nicht berechtigt, die von dem "Freien Mitarbeiter" in Rechnung gestellte USt als Vorsteuer abzuziehen.

 

Rz. 1045

 

Beispiel 1

Bei fünf Scheinselbstständigen mit einem Honorar von jeweils 2.000,00 EUR/Monat plus derzeit 19 % USt = 380,00 EUR errechnet sich ein Gesamthonorar von 120.000,00 EUR/Jahr plus 22.800,00 EUR USt/Jahr. Bei einem Prüfungszeitraum von bspw. drei Jahren ergeben sich bereits 68.400 EUR Vorsteuerkürzung für den Arbeitgeber plus Nachzahlungszinsen gem. §§ 238 Abs. 1a, 233a AO.

 

Rz. 1046

 

Beispiel 2

Bei Beschäftigung eines vermeintlich Freien Mitarbeiters zu einem Honorar von z.B. 3.000,00 EUR plus 570,00 EUR USt/Monat × 12 = 6.840,00 EUR USt/Jahr, bei zwei vermeintlich Freien Mitarbeitern 13.680,00 EUR USt/Jahr; bei einem Prüfungszeitraum von z.B. drei Jahren im Rahmen einer Betriebsprüfung wird also bereits über 41.040,00 EUR nur für die USt "verhandelt".

 

Rz. 1047

Gleichwohl schuldet der Arbeitnehmer, der seinem Arbeitgeber Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis ausgestellt hat, ohne Unternehmer zu sein, dem Finanzamt die in seinen Rechnungen ausgewiesene USt gem. § 14c Abs. 2 UStG. Damit die Finanzbehörde in diesem Fall die in Rechnung gestellte USt nicht doppelt beanspruchen kann, besteht gem. § 14c Abs. 2 S. 3–5 UStG die Möglichkeit der Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist. Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an das Finanzamt zurückgezahlt worden ist.

 

Rz. 1048

 

Praxishinweis

Das Verfahren läuft wie folgt ab:

Zunächst muss der Arbeitnehmer, der die Rechnung ausgestellt hat, den unberechtigten Steuerausweis ggü. dem Belegempfänger, d.h. ggü. dem Arbeitgeber, für ungültig erklären (vgl. BMF v. 20.12. 2022, UStAE Abschnitt 14c.2, Abs. 3 S. 1).
Danach hat der Rechnungsaussteller die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages bei dem für seine Besteuerung zuständigen Finanzamtes gesondert schriftlich zu beantragen (vgl. BMF v. 20.12. 2022, UStAE Abschnitt § 14c.2, Abs. 5 S. 1 UStG)
Das Finanzamt hat durch Einholung einer Auskunft beim Finanzamt des Rechnungsempfängers zu ermitteln, in welcher Höhe und wann ein unberechtigt in Anspruch genommener Vorsteuerabzug durch den Rechnungsempfänger zurückgezahlt wurde (vgl. BMF v. 20.12. 2022, UStAE Abschnitt 14c.2, Abs. 5 S. 3).
Nach Einholung dieser Auskunft teilt das Finanzamt des Schuldners des unberechtigt ausgewiesenen Betrages diesem mit, für welchen Besteuerungszeitraum und in welcher Höhe die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages vorgenommen werden kann (vgl. BMF v. 20.12. 2022, UStAE Abschnitt 14c.2, Abs. 5 S. 4).
Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrages ist in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Gefährdung des ...

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