Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 562
Ziel ist, den (Gesamt-) Aufsichtsrat so zusammenzusetzen, dass seine Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen und die gesetzliche Geschlechterquote eingehalten wird (vgl. Ziffer C. Zusammensetzung des Aufsichtsrats, Grundsatz 11, S. 8, Deutscher Corporate Governance Kodex i.d.F. v. 28.4.2022, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 27.6.2022, www.dcgk.de). Dies gilt nicht nur für börsennotierte Aktiengesellschaften. Denn die Effektivität des Gesamtaufsichtsrats und seiner Ausschüsse ist in besonderem Maße von der Qualifikation, Erfahrung, Unabhängigkeit sowie dem richtigen Mix abhängig. Das Gesetz verlangt in § 100 Abs. 5 Hs. 2 lediglich, dass die Aufsichtsratsmitglieder in ihrer Gesamtheit mit dem Sektor, in dem die Gesellschaft tätig ist, vertraut sein müssen ("Sektorvertrautheit"). Es gilt, die Zusammensetzung und Diversität des Aufsichtsrats als eine der zentralen Voraussetzungen für die Zukunftsfähigkeit des Aufsichtsrats zu gewichten (vgl. Ruhwedel, BOARD 2021, 66 ff. zur Bedeutung von Zusammensetzung und Diversität für die Zukunftsfähigkeit von Aufsichtsräten). Dazu müssen die Profile/Kompetenzen der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder bzw. Kandidaten erfasst sein. Hilfreich kann dazu eine Kompetenzmatrix sein, die sowohl die Zusammensetzung des Gesamtaufsichtsrats als auch die Zusammensetzung der erforderlichen Ausschüsse umfasst, damit das Kompetenzprofil des Gesamtaufsichtsrats anforderungsgerecht bestimmt werden kann (vgl. Kunz, BOARD, 2015, 91 ff., 94 ff.). Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat den vorgenannten Vorschlag im Kodex v. 28.4.2022 aufgegriffen und nennt dies Qualifikationsmatrix (vgl. Kodex-Empfehlung C. 1, S.8).
Rz. 563
Bei börsennotierten Gesellschaften, für die das Mitbestimmungsgesetz, das Montan-Mitbestimmungsgesetz oder das Mitbestimmungsergänzungsgesetz gilt, setzt sich gem. § 96 Abs. 2 AktG der Aufsichtsrat zu mindestens 30 % aus Frauen und zu mindestens 30 % aus Männern zusammen. Der Mindestanteil ist vom Aufsichtsrat insgesamt zu erfüllen. Eine Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung und eine Entsendung in den Aufsichtsrat unter Verstoß gegen den Mindestanteil ist nichtig. Ferner legt der Aufsichtsrat von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, gem. § 111 Abs. 5 AktG für den Frauenanteil im Aufsichtsrat (und im Vorstand) Zielgrößen fest (vgl. Seng/Schulz-Strelow, BOARD 2022, 242 zur langsamen Steigerung des Frauenanteils in den Führungsetagen öffentlicher Unternehmen; Seng/Schulz-Strelow, BOARD 2022, 123 ff. zu den Women-on-Board-Indizes von FidAR am Beispiel von Niedersachsen; vgl. ferner Schulz-Strelow, BOARD 2021, 217 ff. zum Stand der Umsetzung in öffentlichen Unternehmen – Public Women-on-Board-Index, Public WoB-Index).
Rz. 564
In der Praxis werden angesichts der großen Herausforderungen (Beispiel "Wirecard") immer wieder Zweifel an der Kompetenz von Aufsichtsräten geäußert, gleichzeitig aber auch sinnvolle und konstruktive Empfehlungen zu Aufsichtsratsbesetzungen genannt (vgl. das gemeinsame Positionspapier von AdAR, ArMiD und FEA, BOARD 2017, 135 ff.; vgl. aus Investorensicht zielführend Hornberg/Zeuchner, M&A Review 2017, 280 ff.; vgl. zu den gravierenden Konsequenzen unwirksam bestellter oder abberufener Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat unten Rdn 578 u. Rdn 685 f.).