Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 163
Die in Rspr. und Lit. umfassende Diskussion um die rechtliche Einordnung des Anstellungsvertrags des GmbH-Geschäftsführers, die bis heute nicht abgeschlossen ist, gehört zu den meist diskutierten Fragen im GmbH-Geschäftsführerrecht (vgl. zutreffend Scholz/Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, GmbHG, § 35 Rn 259).
Rz. 164
Der Danosa-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2010 wird dabei zu Recht weitgehend grundsätzliche Bedeutung für das deutsche Verständnis über die Schutzbedürftigkeit des GmbH-Fremdgeschäftsführers und GmbH-Minderheitsgeschäftsführers zugeschrieben (vgl. Hohenstatt/Naber, NZA 2014, 637 ff., 638 m.w.N). Dies betrifft zumindest alle auf Unionsrecht basierenden Arbeitnehmerschutzvorschriften, d.h. neben der Mutterschutzrichtlinie sind die Antidiskriminierungsrichtlinien, die Befristungsrichtlinie, die Elternurlaubsrichtlinie, die Teilzeitrichtlinie und die Massenentlassungsrichtlinie zu nennen. Fest steht, dass zumindest europarechtlich ein Geschäftsführer auch Arbeitnehmer sein kann. In der im Jahr 2015 zu der Geschäftsführer-Arbeitnehmer-Thematik getroffenen Balkya-Entscheidung des EuGH zu Massenentlassungen hat der EuGH wiederum deutlich festgehalten, dass zu den "Arbeitnehmern" (vorliegend im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie) auch die Geschäftsführer einer GmbH zu zählen sind (vgl. EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14). Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des EuGH für Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer (vgl. EuGH v. 10.9.2015 – Rs. C-47/14, Holtermann-Entscheidung). Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch kein Ende und auch nicht das Ausmaß der Entwicklung auf das deutsche Rechtsverständnis abzusehen (vgl. ebenso Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188 ff., 195). Zum Teil wird von der "Herausbildung arbeitnehmerähnlicher Organe" gesprochen (vgl. Bayreuther, NZA 2013, 1238 ff., 1239).
Rz. 165
Die bereits in den Vorauflagen angesprochene Neubewertung des Geschäftsführer-Status wird sich weiter entwickeln. In der Tendenz ist davon auszugehen, dass dem Fremdgeschäftsführer und dem Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer mehr und mehr Arbeitnehmerschutzrechte zugesprochen werden. Dabei geht es nicht nur um einen einheitlichen Standard in Europa. Es geht auch um den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Fremdgeschäftsführers und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers sowie die Bestimmung der Modalitäten der Leistungserbringung, den die nationale Rechtsprechung weiter konkretisieren wird. Denn das BAG hatte bereits 1999 herausgestellt, dass die Frage, ob das Anstellungsverhältnis einer stv. Fremdgeschäftsführerin ein Arbeitsverhältnis sei, sich nach den allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung vom freien Dienstverhältnis richte (vgl. BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98 Leitsatz 2). Die Bewertung/Abgrenzung zwischen der gesellschaftsrechtlichen Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers gem. § 37 GmbHG einerseits zu einer möglichen arbeitsrechtlichen Weisungsgebundenheit in persönlicher Abhängigkeit gem. § 611a BGB andererseits ist ein zentraler Punkt (vgl. zu den Abgrenzungskriterien unten Rdn 768 ff.). Richtungsweisend ist auch die Rechtsprechung des BAG, wonach die Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH auch auf einem Arbeitsvertrag beruhen könne (vgl. BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12). Ferner hat das BAG jüngst die Frage aufgeworfen, ob die ordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers einer GmbH auch dann wirksam ist, wenn sich auf keinen anderen Grund als den Willen des Kündigungsberechtigten Organs stützen kann (vgl. BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, juris Rn 34 S. 4). Sollte das BAG diese Linie fortsetzen, wäre eine Vielzahl von Fremd- und Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern in zurzeit über 1.4 Millionen GmbH ggf. als Arbeitnehmer anzusehen.
Rz. 166
Letztendlich geht es – neben den o.g. auf Unionsrecht basierenden Arbeitnehmerschutzvorschriften – vor allem auch um das Thema Abfindung für abhängig beschäftigte Geschäftsführer im Fall der Kündigung (vgl. die Muster zu einer vertraglichen Abfindungsregelung in Abhängigkeit zur Betriebszugehörigkeit als mögliche Lösungsvariante unten Rdn 272 ff.). Dabei ist stets das nationale Recht mit der “Hürde‘ des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG im Blick zu halten, wonach die §§ 1 ff. KSchG nicht für die Mitglieder der Organe gelten, die zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen sind (vgl. zur Kündigung unten Rdn 237 ff.; vgl. zur Abfindung im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung unten § 27 Rdn 151 ff.). Allerdings spricht einiges dafür, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG vom Europarecht überlagert sein könnte, soweit es um die Schutzbedürftigkeit von Fremd- bzw. Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführern geht. Denn der deutsche Gesetzgeber deckt den unionsrechtlich geforderten Schutz des Fremd- bzw. Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers nicht ab (vgl. auch unten den Hinweis bei Rdn 242). Die Zweifel an der Europarechtskonformität des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG könnten dadurch ausgeräumt werden, dass für die Gruppe der persönlich a...