Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 607
Der Vorstand ist das zur Geschäftsführung (§ 77 AktG) und zur Vertretung (§ 78 AktG) berechtigte und verpflichtete Organ der AG. Wesentlicher Unterschied zum GmbH-Geschäftsführer ist, dass der Vorstand der AG nicht an Weisungen der Kapitalgeber/Hauptversammlung oder des Aufsichtsrates gebunden ist (vgl. Koch, AktG, § 87 Rn 25 m.w.N.). In § 76 Abs. 1 AktG ist die Eigenverantwortlichkeit des Vorstandes als Kollegialorgan zur Leitung der Gesellschaft ausdrücklich normiert. Es bestehen lediglich im Innenverhältnis die in § 82 Abs. 2 AktG aufgeführten Beschränkungen. Dies gilt insbesondere für den gem. § 111 Abs. 4 AktG durch die Satzung oder durch den Aufsichtsrat zu bestimmenden Katalog zustimmungspflichtiger Geschäfte, wonach bestimmte Entscheidungen des Vorstands der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen. Diese Zustimmungsvorbehalte müssen klar formuliert sein, damit das jeweilige Vorstandsmitglied weiß, in welcher Situation er die Zustimmung einzuholen hat (vgl. Grunewald, BOARD 2017, 30). § 111 Abs. 4 S. 2 AktG enthält zwar keine inhaltlichen Vorgaben, verlangt aber schon seinem Wortlaut nach die eindeutige Bezeichnung der zustimmungsbedürftigen Maßnahme oder Entscheidung, da sich der Zustimmungsvorbehalt auf "bestimmte Arten von Geschäften" beziehen muss (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.1.2016 – I-6 U 48/14). Die Zustimmung ist grds. vor Durchführung des Geschäfts einzuholen. Eine nachträgliche Genehmigung (auch konkludent) des Aufsichtsrats ist nicht möglich. Gegen einen Schadensersatzanspruch wegen Missachtung des Zustimmungsvorbehalts kann der Vorstand ggf. den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens geltend machen (vgl. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, juris).
Rz. 608
Unter Geschäftsführung im Sinne von § 77 AktG ist jedwede tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit für die AG zu verstehen. Beispielhaft sind Maßnahmen der Geschäftsführung:
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die Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 83 AktG), |
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die Führung der Handelsbücher (§ 91 AktG), |
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die Aufstellung des Jahresabschlusses und des Lageberichtes (§ 264 Abs. 1 HGB). |
Rz. 609
Die Leitung der Gesellschaft i.S.v. § 76 AktG ist (als herausgehobener Teilbereich der Geschäftsführung, vgl. M. Arnold, in: Marsch-Barner/Schäfer, Rn 20.8 ff. m.w.N.) im Wesentlichen gekennzeichnet durch:
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Unternehmensleitung/Führungsfunktion des Vorstands |
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Festlegung der Unternehmenspolitik, Unternehmensstrategie und -planung/-koordinierung |
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Unternehmensorganisation und -kontrolle, Risk zu-Management |
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Besetzung der Führungsstellen |
Hinzu kommen weitere wichtige Aufgaben als Bestandteil der Leitungsaufgabe (und zur Haftungsvermeidung) des Vorstands, wie insbesondere Corporate Governance (Grundsätze guter Unternehmensführung) sowie Compliance (Struktur- und Verhaltensvorgaben zur Einhaltung von Gesetzen und Regeln) als entscheidender "Hygienefaktor" in der Unternehmensführung.
Rz. 610
Weiterhin hat der Vorstand von Gesellschaften, die börsennotiert sind oder der Mitbestimmung unterliegen, für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands Zielgrößen gemäß § 76 Abs. 4 AktG festzusetzen. Verstöße dagegen können Bußgelder nach § 334 HGB auslösen (vgl. im einzelnen Kunz, BOARD 2015, 91 ff., 95 Handelsblatt, 20.8.2015 Print- und Online-Ausgabe "Ohne Frauenquote kann es teuer werden").
Rz. 611
Gleichzeitig ist der Vorstand das notwendige Organ für die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der AG gem. § 78 Abs. 1 AktG. Die Vertretungsmacht des Vorstandes ist gem. § 82 Abs. 1 AktG grds. unbeschränkt und unbeschränkbar. Dritten ggü. kann sie weder durch den Anstellungsvertrag noch durch die Satzung beschränkt werden.
Rz. 612
Hinweis zur Vertretungsmacht
Die Vertretungsmacht des Vorstandsmitgliedes kann Dritten ggü. grundsätzlich nicht beschränkt werden. Im Anstellungsvertrag können jedoch – intern – Schranken der Vertretungsmacht vereinbart werden.
Rz. 613
Der Vorstand muss allerdings die aktienrechtliche Kompetenzverteilung im Verhältnis zum Aufsichtsrat beachten (s. oben Rdn 566). Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit dem Abschluss von Beratungsverträgen oder Drittanstellungsverträgen. Der Abschluss von Beratungsverträgen fällt grundsätzlich in die Zuständigkeit des Vorstands, allerdings nur soweit, wie die Beratungs- oder Managementleistungen durch Mitarbeiter erbracht werden sollen, die nicht Vorstandsmitglieder sein sollen, sofern nicht aus anderen Gründen die Zuständigkeit des Aufsichtsrats begründet wird. Anders ist dies, soweit die Beratungsgesellschaft einen ihrer Mitarbeiter als Vorstandsmitglied der AG stellt. Der Abschluss dieser Verträge fällt auch dann in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats, wenn sie von der Gesellschaft nicht mit dem Vorstandsmitglied selbst, sondern einem Dritten (= Beratungsunternehmen) abgeschlossen werden und mit diesem eine Vergütung für die Vorstandstätigkeit vereinbart wird (vgl. BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14; OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 3582/16; E. Vetter, Festschrift Hoffmann-Be...