Peter Houben, Dr. iur. Martin Schimke
Rz. 668
Alle Vertragskonstellationen, die aus wirtschaftlichen Gründen Druck auf den Aufsichtsrat ausüben können, den Vorstand erneut zu bestellen, sind im Zweifel unwirksam. Diesen Zwang will § 84 Abs. 1 AktG gerade ausschließen. Eine Vertragsklausel, nach der das Dienstverhältnis des Vorstands einer AG im Fall der Beendigung der Organstellung als Arbeitsverhältnis zu gleichen Konditionen weitergeführt wird, ist eine Umgehung des Verbots in § 84 Abs. 1 AktG und deshalb nach § 134 BGB nichtig (vgl. BAG v. 26.8.2009 – 5 AZR 522/08, NZA 2009, 1205 = DB 2009, 2480).
Rz. 669
Eine Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrates wäre auch dann gegeben, wenn eine stillschweigende Verlängerung des Anstellungsvertrages gem. § 625 BGB möglich wäre. Denn wird gem. § 625 BGB ein Dienstverhältnis nach dem Ablauf der Dienstzeit von dem Verpflichteten mit Wissen des anderen Teils fortgesetzt, gilt es als auf unbestimmte Zeit verlängert, sofern nicht der andere Teil unverzüglich widerspricht. Haben Aufsichtsrat und Vorstandsmitglied bei Ablauf der Fünf-Jahres-Periode noch keine Einigung über den neuen Vertrag gefunden, kommt es vor, dass über die Fünf-Jahres-Frist hinaus das Vorstandsmitglied de facto unverändert in seiner Funktion tätig ist. Würde dann die Regelung des § 625 BGB mit der Folge einer Verlängerung auf unbestimmte Zeit eingreifen, würde dies dem Sinn und Zweck des § 84 Abs. 1 AktG widersprechen. Insofern kann sich der Anstellungsvertrag ohne gleichzeitige Verlängerung der Bestellung nicht nach § 625 BGB über die Fünf-Jahres-Frist hinaus verlängern (vgl. Bauer, DB 1992, 1413 ff., 1414). § 625 BGB findet keine Anwendung (vgl. auch oben Rdn 650).
Rz. 670
Die Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrates wäre auch dann nicht mehr gegeben, wenn in dem Anstellungsvertrag des Vorstandsmitgliedes diesem eine unangemessen hohe Abfindung oder eine sonstige erhebliche geldwerte Leistung, bspw. ein überhöhtes Überbrückungsgeld oder überzogenes Beratungshonorar, für den Fall der Nichtverlängerung der Bestellung und des Anstellungsvertrages zugesagt wird. Eine solche Zusage wäre eine Umgehung des § 84 Abs. 1 AktG und damit gem. § 134 BGB nichtig (ebenso Schmidt/Lutter/Seibt § 84 AktG, Rn 18 m.w.N.; Melot de Beauregard/Schwimmbeck/Gleich, DB 2012, 2792, 2794).
Rz. 671
In der Praxis besteht die Schwierigkeit, die Grenze festzulegen, ab welcher Höhe bzw. für welche Dauer der Leistungsverpflichtung der AG die Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrates nicht mehr gegeben ist. Denn grds. sind Überbrückungsgelder zulässig und nicht unüblich, aber regelmäßig an Voraussetzungen wie Mindestalter und/oder zweite Amtsperiode des Vorstands geknüpft (vgl. ebenso Diller/Arnold, AG 2010, 721; Jaeger, NZA 2010, 128). Es lassen sich dafür keine schematischen Grundsätze aufstellen. Maßgeblich ist die konkrete Ausgestaltung im Einzelfall. Ein Kriterium dürfte die Ertragskraft des Unternehmens darstellen. Bei einer AG, die in einer dramatischen Verlustsituation ist, könnte die im Anstellungsvertrag dem Vorstandsmitglied zugesagte Abfindung oder Überbrückung mit Zwei-Jahres-Fixbezügen für den Fall der Nichtverlängerung eine Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrates bedeuten. Bei einer hoch profitablen Blue-Chip-AG dürfte eine solche Klausel die Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrates wohl kaum beeinträchtigen. Maßgeblich für die Beurteilung ist nicht der Verlängerungszeitpunkt, sondern der Zeitpunkt des Abschlusses des Anstellungsvertrages. Eine etwaige drastische Verschlechterung der Ertragslage während der Laufzeit des Anstellungsvertrages ist daher dem Risiko der AG zuzuordnen. Gleichwohl kann eine Zusage, selbst wenn sie die Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrats nicht beeinträchtigt, aufgrund des Angemessenheitsvorbehalts i.S.v. § 87 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 87 Abs. 1 S. 4, 3. Alt. AktG unangemessen sein. Dies bedeutet, dass stets eine Doppelprüfung am Maßstab der Angemessenheit und Entschließungsfreiheit vorzunehmen ist.
Rz. 672
Möglich sind vertragliche Zusagen im Anstellungsvertrag, worin dem Vorstandsmitglied im Fall der Nichtverlängerung durch die AG ein vorgezogener Anspruch auf einen Teil seiner betrieblichen Altersversorgung als Überbrückungsgeld, ggf. unter Anrechnung anderweitiger Bezüge und/oder weiteren Modalitäten, zugesagt wird. Dies ist eine Frage des Einzelfalles. Im Gegensatz zur Altersversorgung, die mit einem biologischen Ereignis verbunden ist, ist das Überbrückungs- oder Übergangsgeld keine betriebliche Altersversorgung; es gilt nicht das BetrAVG (vgl. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 284/03, AG 2008, 215 = ZIP 2008, 279; Bauer/Baeck/von Müdem, NZG 2010, 721).
Rz. 673
Im Fall der Nichtigkeit einer vertraglichen Klausel, die als Einschränkung der Entschließungsfreiheit des Aufsichtsrates anzusehen ist, bewirkt diese nicht die Nichtigkeit des gesamten Anstellungsvertrages. Soweit der Anstellungsvertrag keine salvatorische Klausel enthält, ist gem. § 139 BGB davon auszugehen, dass der Anstellungsvertrag auch oh...