Rz. 123

Wer einen Arrest oder eine einstweilige Verfügung erwirkt und den Titel dem Schuldner zustellt, muss sich der Gefahr bewusst sein, dass er möglicherweise gem. § 945 ZPO einem verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch ausgesetzt ist, wenn sich die Anordnung des Arrests oder der einstweiligen Verfügung später als von Anfang an ungerechtfertigt erweist. Dasselbe gilt, wenn die angeordnete Maßregel nach § 926 Abs. 2 ZPO aufgehoben wird, weil der Antragsteller einer Aufforderung des Gerichts, innerhalb einer bestimmten Frist in der Hauptsache Klage zu erheben, nicht Folge leistet oder wenn er das Rechtfertigungsverfahren[210] nach § 942 Abs. 3 ZPO nicht fristgerecht durchführt. Der Grund hierfür liegt darin, dass allein der Gläubiger für die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Vollstreckungstitel verantwortlich ist.[211]

 

Rz. 124

 

Hinweis

§ 945 ZPO ist auf die Vollziehung von Arresten in Familienstreitsachen entsprechend anzuwenden, § 119 Abs. 2 S. 2 FamFG. Bei der Vollziehung von einstweiligen Anordnungen nach § 112 Nr. 2 und 3 FamFG ist § 945 ZPO anwendbar (§ 119 Abs. 1 S. 2 FamFG), bei einstweiligen Anordnungen in Unterhaltssachen nach § 112 Nr. 1 FamFG dagegen nicht (vgl. § 119 Abs. 1 S. 2 FamFG). Aus dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist zu folgern, dass § 945 ZPO auch in anderen familienrechtlichen FamFG-Sachen keine Anwendung findet.[212] Gem. § 123 Abs. 3 VwGO ist § 945 ZPO im Verwaltungsgerichtsverfahren entsprechend anwendbar. Dem Beigeladenen, Beizuladenden oder sonst beteiligten Dritten im Verwaltungsprozess steht der Schadensersatzanspruch jedoch nicht zu, wenn in dessen Rechtskreis der Schaden durch die eingreifende einstweilige Anordnung entstanden ist.[213]

In Angelegenheiten des arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahrens gilt § 945 ZPO uneingeschränkt, § 62 Abs. 2 ArbGG. Demgegenüber normiert § 85 Abs. 2 S. 2 ArbGG, dass der Schadensersatzanspruch in Angelegenheiten des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens ausgeschlossen ist.

 

Rz. 125

Weil die verschuldensunabhängige Schadenersatzhaftung nach § 945 ZPO im Rahmen der Haftung aus unerlaubter Handlung eine Ausnahme ist, kann die Vorschrift nicht erweiternd ausgelegt werden.[214] Für den Fall, dass sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist, kommt es insoweit nur auf den Zeitpunkt des Erlasses des Arrestes an.[215] Der Gläubiger ist daher grundsätzlich nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der von ihm geltend gemachte Anspruch zu diesem Zeitpunkt bestanden hat und erst rückwirkend entfällt.[216]

 

Rz. 126

 

Hinweis

Hat sich die Anordnung des Arrestes oder der einstweiligen Verfügung jedoch nur deshalb als von Anfang an ungerechtfertigt erwiesen, weil der Antragsteller seinen Sachvortrag nicht in der erforderlichen Weise glaubhaft machen konnte, so kann er im Prozess über seine Schadensersatzverpflichtung nach § 945 ZPO als Beklagter seinen Sachvortrag erweitern und über die Mittel der Glaubhaftmachung hinaus neue Beweisangebote unterbreiten.[217]

 

Rz. 127

Zu ersetzen ist der gesamte durch die Vollziehung des Arrestes oder der einstweiligen Verfügung adäquat kausal verursachte, zurechenbare unmittelbare und mittelbare Vermögensschaden (§§ 249 ff. BGB)[218] und unter den Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 BGB der Nichtvermögensschaden. Insoweit reicht aus, dass der Antragsteller mit der Vollziehung begonnen hat und dem Schuldner dadurch schon ein Schaden entstanden ist.[219] Gleiches gilt, wenn sich der Schuldner dem Vollstreckungsdruck beugt, der von einem in Urteilsform ergangenen Ge- oder Verbot mit Straf- bzw. Zwangsmittelandrohung nach §§ 890 Abs. 2, 888 ZPO ausgeht.[220]

 

Rz. 128

Nicht erstattungsfähig ist der Schaden, der dem Schuldner aus der freiwilligen Befolgung von Unterlassungsgeboten entsteht, die nicht mit einer Ordnungsmittelandrohung gem. § 890 Abs. 2 ZPO versehen sind.[221] Dasselbe gilt für den Schaden, der für den Schuldner – etwa ohne Zustellung des Titels – aus der freiwilligen Unterwerfung unter das Begehren des Antragstellers resultiert.[222] Hierzu gehört auch der Schaden aufgrund der Anordnung einer einstweiligen Maßnahme, z.B. durch das Bekanntwerden der Maßnahme.[223] Nicht ersatzfähig ist weiter der Schaden, der dadurch entsteht, dass der Antragsgegner den Gewinn aus dem verbotenen Geschäft nicht erzielen kann, weil der Dritte, der das Geschäft mit dem Antragsgegner durchführen wollte, von diesem Geschäft Abstand genommen hat.[224] Diese Schäden können nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 823, 826 BGB zu ersetzen sein.[225]

 

Rz. 129

Auch wenn der Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO verschuldensunabhängig ist, wird mitwirkendes Verschulden des Schuldners – wenn er etwa keinen Rechtsbehelf einlegt – gem. § 254 BGB berücksichtigt.[226]

 

Rz. 130

Falls der Arrest bzw. die einstweilige Verfügung aufgehoben werden, beginnt die Verjährung des Anspruchs nach § 945 1. Alt. ZPO spätestens dann, wenn der vormalige Antragsgegner im Hauptsacheverfahre...

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