Rz. 263

Alternativ kann der Berufungskläger – zumeist hilfsweise[400] – nach § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht beantragen,

wenn das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO),
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen worden ist (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO),
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden worden ist (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO),
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO),
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen worden ist (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 ZPO),
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist (§ 538 Abs. 2 S. 2 Nr. 6 ZPO).
Ohne Antrag kann eine Zurückverweisung erfolgen, wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 ZPO erlassenes Teilurteil ist (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO).
 

Rz. 264

 

Hinweis

Erachtet das Berufungsgericht nur einen Teil der Ansprüche für entscheidungsreif, während es hinsichtlich des anderen Teils die Entscheidungsreife verneint und die Sache in diesem Umfang an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen möchte, muss es die entsprechend anzuwendenden Voraussetzungen von § 301 ZPO beachten und der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen Rechnung tragen, wenn etwa sämtliche Ansprüche voraussetzen, dass der Kläger Eigentümer bestimmter Waren geworden ist.[401]

 

Rz. 265

Häufigste Konstellation ist die Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Ob ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt, ist allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des erstinstanzlichen Gerichts zu beurteilen, auch wenn das Berufungsgericht ihn für verfehlt erachtet.[402] Verfahrensfehler sind etwa das Übergehen von Sachvortrag[403] oder Beweisangeboten sowie das Unterlassen von Hinweisen. Hat das erstinstanzliche Gericht aber etwa bei der Auslegung von vertraglichen Bestimmungen anerkannte Auslegungsgrundsätze missachtet, liegt hierin kein zur Zurückweisung des Rechtsstreits an die erste Instanz berechtigender Verfahrensfehler, sondern ein materiell-rechtlicher Auslegungsfehler.[404] Eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme ist nur dann notwendig, wenn sie durch oder infolge der Korrektur des wesentlichen Verfahrensfehlers sicher zu erwarten ist. Nicht ausreichend ist, wenn sie zwar unter bestimmten Voraussetzungen – etwa einer Anhörung der Parteien oder nach weiterem Vorbringen der Parteien – erforderlich wird, der Eintritt dieser Voraussetzungen aber nicht sicher ist.[405]

 

Rz. 266

 

Hinweis

Eine Zurückverweisung kann Vor- und Nachteile aufweisen, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Für den Zurückverweisungsantrag sollte sich der Berufungskläger entscheiden, wenn

er neues Vorbringen bzw. weitere Beweisanträge beabsichtigt, die im Berufungsverfahren ggf. wegen § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen sind;
eine umfangreiche Beweisaufnahme aussteht, die wegen der Ortsnähe vor dem erstinstanzlichen Gericht weniger aufwendig erscheint;
schwierige tatsächliche Fragen nach einer umfangreichen Beweisaufnahme zu entscheiden sind und der Verlust einer Instanz bei unmittelbarer Vornahme durch das Berufungsgericht sachwidrig erscheint;
eine hinreichend klare "Segelanweisung" des Berufungsgerichts zu erwarten ist, die den Fortgang des Verfahrens nach Zurückverweisung berechenbar werden lässt;
das Berufungsgericht bereit ist, über den Zurückverweisungsantrag – meist nach entsprechendem Hinweis zur Sache – im schriftlichen Verfahren zu entscheiden, weshalb durch die Zurückverweisung kein Zeitverlust droht;
alle Mittel zu einer möglichen Verzögerung des Rechtsstreits ergriffen werden sollen (wobei manches Berufungsgericht längere Verfahrenslaufzeiten aufweist als erstinstanzliche Spruchkörper).

Gegen eine Zurückverweisung kann sprechen:

fehlendes Vertrauen in die Qualität des erstinstanzlichen Gerichts;
bei einem Vergleich der zu erwartenden Prozessdauer bei Fortgang des Rechtsstreits vor dem erstinstanzlichen Gericht gegenüber dem Berufungsgericht eine Verlängerung wahrscheinlich erscheint;
ein höherer Kostenaufwand bei einer Zurückverweisung, da nach der Zurückverweisung die Gebühren vor dem erstinstanzlichen Gericht wieder neu anfallen und nur die Verfahrensgebühr nach Vorbemerkung 3 Abs. 6 VV auf die Verfahrensgebühr des erneuten Verfahrens angerechnet wird.[406]
[400] Der alleinige Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung genügt grundsätzlich dem Antragserfordernis, da er das...

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