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Darüber hinaus bietet das Pflichtteilsrecht selbst wesentliche Ansatzpunkte, um nach dem Ableben des Erstversterbenden die nachteiligen Erbschaftsteuerkonsequenzen eines Berliner Testaments zu korrigieren. Der länger lebende Ehegatte E 2 kann beispielsweise seinen beiden Kindern K 1 und K 2 anbieten, ihnen zur Abgeltung der bestehenden Pflichtteilsansprüche Geldbeträge auszuzahlen. So können die Beteiligten bis zur Höhe der tatsächlich bestehenden Pflichtteilsansprüche die Freibeträge der Kinder gegenüber dem Vater ausschöpfen.[163] Der steuerpflichtige Erwerb des länger lebenden Ehegatten kann insoweit gemindert werden. Bei einem Nachlassvermögen des E 1 i.H.v. 6 Mio. EUR beträgt der Pflichtteilsanspruch eines jeden Kindes 750.000 EUR. Auf diese Art und Weise lässt sich der Erwerb der E 2 bei zwei Kindern um insgesamt 1.500.000 EUR mindern. Die Erbschaftsteuerersparnis ist beträchtlich! Bei den Kindern fällt eine geringe Steuer an, da die Freibeträge von 400.000 EUR pro Kind nur gering überschritten werden. Außerdem ist dies die letzte Möglichkeit, die Freibeträge des erstverstorbenen Ehegatten noch auszuschöpfen. Unter Umständen kann auch eine Minderung der Steuerprogression eintreten. Bei Bedarf kann die Pflichtteilsgeltendmachung auf einen Teilbetrag beschränkt werden. So lässt sich das Überschreiten der Kinderfreibeträge vermeiden.

 

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Praxishinweis

Vorsicht ist insoweit geboten, als der länger lebende Ehegatte nicht größere Beträge an die Kinder zahlen sollte, als der Pflichtteilsanspruch tatsächlich beträgt. Werden höhere Beträge ausbezahlt, so stellt dies eine freigebige Zuwendung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG des länger lebenden Ehegatten an die Kinder dar. Diese sind nicht auf die Freibeträge des Erstverstorbenen anzurechnen, sondern zehren die Freibeträge des länger Lebenden auf. Insoweit werden die erstrebten Ziele nicht erreicht. Gewisse Spielräume sind hierbei jedoch hinsichtlich der Bewertung gewiss gegeben, die ausgeschöpft werden sollten.

[163] Vgl. J. Mayer, ZEV 1998, 50, 51 ff.; Muscheler, ZEV 2001, 377, 378 f.; Wien, DStZ 2001, 29, 32; Bühler, BB 1997, 551, 555.

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