Rz. 150

In der Praxis besteht regelmäßig das Problem, dass der Pflichtteilsberechtigte die Zusammensetzung und den Wert des Nachlasses sowie der vom Erblasser zu Lebzeiten getätigten Vorempfänge nicht kennt und er nicht in der Lage ist, die Höhe seines Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu beziffern. Das Gesetz räumt ihm deshalb in § 2314 BGB einen Auskunftsanspruch gegen die Erben ein.[221] § 2314 BGB regelt drei voneinander unabhängige Auskunftsansprüche:

 

Rz. 151

den Auskunftsanspruch auf Vorlage eines privaten Bestandsverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 S. 1 BGB)
den Anspruch über die Wertermittlung auf Kosten des Nachlasses (§ 2314 Abs. 1 S. 2 BGB) durch einen Sachverständigen
und den Anspruch auf Vorlage eines amtlichen Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 S. 3 BGB).
 

Rz. 152

Die Ansprüche sind voneinander unabhängig und schließen sich grundsätzlich nicht gegenseitig aus.[222] Der Pflichtteilsberechtigte kann also die Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses auch dann noch fordern, wenn er bereits ein privates Nachlassverzeichnis erhalten hat.[223] Zwar kann der Erbe die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses grundsätzlich entsprechend § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB verweigern, sofern der Nachlass zur Begleichung der damit verbundenen Kosten nicht ausreicht. Dem Erben ist ein Berufen auf die Dürftigkeitseinrede aber dann gemäß § 242 BGB verwehrt, wenn der Pflichtteilsberechtigte bereit ist, die Kosten für das notarielle Nachlassverzeichnis zu tragen und direkt an den Notar zu entrichten.[224]

 

Hinweis

Nach der Rechtsprechung ist der Notar wegen seiner Verantwortung für den Inhalt eines notariellen Nachlassverzeichnisses über die Entgegennahme von Auskünften und Angaben der Beteiligten hinaus berechtigt und verpflichtet, eigene Ermittlungen hinsichtlich des Nachlassbestandes anzustellen.[225] In Ermangelung besonderer Ermittlungsmöglichkeiten für Notare und aus Gründen des Datenschutzes sollten sich die Pflichtteilsberechtigten jedoch von dieser Rechtslage nicht zu viel versprechen.[226] Lässt sich kein auftragsbereiter Notar finden, entlastet dies den Auskunftsschuldner im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens nicht, solange er nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um einen Notar zu einer Mitwirkung zu bewegen.[227] Dazu gehört nach Ansicht des OLG Düsseldorf[228] auch die Beschwerde gemäß § 15 Abs. 2 BNotO.

§ 2314 BGB kann nur auf den pflichtteilsberechtigten Nichterben, nicht aber auch auf den pflichtteilsberechtigten Miterben angewendet werden.[229]

 

Rz. 153

Des Weiteren findet § 2314 BGB nach überwiegender Meinung analog Anwendung auf die Auskunft bezüglich des fiktiven Nachlasses, d.h. bezüglich der zu Lebzeiten des Erblassers getätigten Schenkungen.[230] Aber auch die analoge Anwendung des § 2314 BGB gegen den Beschenkten steht nach überwiegender Meinung nur dem pflichtteilsberechtigten Nichterben, nicht aber dem pflichtteilsberechtigten Miterben zu.[231]

Dem pflichtteilsberechtigte Erben kann aber ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zustehen. So dehnt der BGH den Anwendungsbereich von § 2314 BGB seit langem – gestützt auf den Gesetzeszweck – in gegenständlicher und persönlicher Hinsicht aus[232] und leitet aus den Grundsätzen von Treu und Glauben einen allgemeinen Auskunftsanspruch ab, "wenn die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien es mit sich bringen, dass der Berechtigte entschuldbar über das Bestehen und den Umfang seines Rechtes im Unklaren und deshalb auf Auskünfte des Verpflichteten angewiesen ist, die dieser unschwer und ohne unbillige, unzumutbare Belastung erteilen kann".[233]

 

Rz. 154

Anspruchsberechtigt nach § 2314 BGB ist im Einzelnen jeder Nichterbe aus dem Personenkreis der §§ 2303, 2309 BGB, der Abtretungsempfänger des Pflichtteilsanspruchs gemäß §§ 2317, 398 BGB,[234] der nicht erbende Pflichtteilsberechtigte, auch gegenüber den vom Erblasser beschenkten Dritten nach § 2314 BGB analog,[235] und der pflichtteilsberechtigte Ehegatte, der beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft die Erbschaft nach § 1371 Abs. 3 BGB ausgeschlagen hat.[236] Nach einer Entscheidung des OLG Celle[237] hingegen sollen die Auskunftsrechte aus § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB nur dem von Hause aus enterbten pflichtteilsberechtigten Nichterben zustehen, nicht aber dem Miterben, der durch Ausschlagung die Stellung eines pflichtteilsberechtigten Nicht-mehr-Erben wählt. In Anbetracht der kurzen Ausschlagungsfristen verglichen mit der Zeit zur Erlangung eines Erbscheins, aufgrund dessen häufig erst der Nachlassbestand vollständig zu ermitteln ist, vermag die Ansicht des OLG Celle – die überdies im Gesetz keine Stütze findet – nicht zu überzeugen.[238]

 

Rz. 155

Keinen Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB hat regelmäßig der pflichtteilsberechtigte Erbe,[239] der pflichtteilsberechtigte Miterbe,[240] der Nacherbe,[241] der Nacherbe in Bezug auf den vom Vorerben Beschenkten[242] und derjenige, dem der Pflichtteil rechtmäßig entzogen worden ist.[243]

 

Rz. 156

Der Auskunftsanspruch steht jed...

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