Wie exakt muss ein Nachlassverzeichnis sein?
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt hat sich ausführlich mit den Voraussetzungen, dem Inhalt und dem Umfang des Anspruchs eines Pflichtteilsberechtigten auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses auseinandergesetzt.
Rechtskräftiges Urteil zur Auskunft über den Bestand des Nachlasses
Im konkreten Fall war die Schuldnerin und unmittelbare Erbin durch Teilanerkenntnisurteil des Landgerichts (LG) gegenüber der Pflichtteilsgläubigerin verurteilt worden, Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses zu erteilen, die Werte aller im Bestandsverzeichnis aufgeführten Gegenstände anzugeben sowie ein Sachverständigengutachten über den Wert des zum Nachlass gehörenden Grund- und Betriebsvermögens vorzulegen.
Gläubigerin beanstandet verspätetes Nachlassverzeichnis als unvollständig
Nachdem die Auskunft knapp 6 Monate nach dem Urteil noch nicht erteilt war, beantragte die Gläubigerin die Festsetzung eines Zwangsgeldes. Die Schuldnerin trat dem Antrag entgegen. Sie habe frühzeitig einen Notar mit der Erstellung des Nachlassverzeichnisses beauftragt. Dieser sei trotz mehrfacher telefonischer Ermahnungen lange untätig geblieben. Nach Einreichung eines Entwurfs des notariellen Nachlassverzeichnisses und zwischenzeitlicher Verhängung eines Zwangsgeldes beanstandete die Gläubigerin den eingereichten Entwurf als unzureichend. Der Notar habe weder ausreichende eigene Nachforschungen angestellt noch habe er den Wert des zum Nachlass gehörenden Grundstücks durch ein neutrales Sachverständigengutachten belegt.
OLG präzisiert Mindestanforderungen an Nachlassverzeichnis
Das OLG stellte in dem von der Schuldnerin eingeleiteten Beschwerdeverfahren gegen das verhängte Zwangsgeld einige Rechtsgrundsätze für die Errichtung eines der gesetzlichen Vorschrift des § 2314 BGB entsprechenden Nachlassverzeichnisses auf:
- Gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte verlangen, dass das Verzeichnis durch einen Notar aufgenommen wird.
- Die Auskunftspflicht ist in diesem Fall nur erfüllt, wenn der Notar den Nachlassbestand selbst und eigenständig ermittelt und
- der Notar durch die Bestätigung des Nachlassverzeichnisses zum Ausdruck bringt, für den Inhalt die Verantwortung zu übernehmen.
- Den Notar trifft eine Überprüfungspflicht der Angaben des Auskunftspflichtigen. Er darf sich hierbei nicht auf eine Plausibilitätsprüfung beschränken. Dabei hat er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde (BGH, Beschluss v. 13.9.2018, I ZB 109/17).
- Dazu gehört die eigenhändige Einsicht in Kontounterlagen sowie
- die Überprüfung von Anhaltspunkten für ergänzungsrelevante Zuwendungen, die der Erblasser innerhalb der letzten 10 Jahre zu Lebzeiten gegenüber Dritten gemacht hat und die gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten ausgleichspflichtig sind.
- Schließlich hat der Gläubiger ein Recht auf Hinzuziehung bei der Erstellung des Verzeichnisses.
Nachlassverzeichnis muss vollständig sein
Das OLG legte Wert auf die Feststellung, dass der Auskunftsanspruch gemäß § 2314 BGB nur dann erfüllt ist, wenn das notarielle Nachlassverzeichnis vollständig ist. Allerdings führe nicht jede nur marginale Unvollständigkeit des notariellen Nachlassverzeichnisses zu einem Ergänzungsanspruch. Ein Anspruch auf Ergänzung der Auskunft bestehe aber dann, wenn in der Aufstellung bestimmte sachliche und zeitliche Teile völlig fehlten (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 10.9.2019, I-7 W 29/19).
Ungenügende Leistungen des Notars
Unter Anwendung dieser Grundsätze beurteilte der Senat das Nachlassverzeichnis im konkreten Fall als zur Erfüllung der Auskunftspflicht gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten nicht geeignet. Zum einen habe der Notar es versäumt, das ehemals von dem Erblasser und der Schuldnerin gemeinsam bewohnte Haus aufzusuchen, die Einrichtungsgegenstände persönlich zu besichtigen, sich den Tresor öffnen zu lassen, die vorhandenen Wertgegenstände und Fahrzeuge in Augenschein zu nehmen. Außerdem habe er das erforderliche Gutachten über den Immobilienwert des Grundstücks, an dem der Erblasser Miteigentum hatte, nicht erstellen lassen. Ein insoweit von der Schuldnerin selbst in Auftrag gegebenes Gutachten reiche für eine neutrale Wertermittlung nicht aus.
Gläubiger muss Anspruch auf Hinzuziehung rechtzeitig geltend machen
Eine Verletzung des Anspruchs der Gläubigerin, bei der Erstellung des Nachlassverzeichnisses hinzugezogen zu werden, konnte das OLG allerdings nicht feststellen. Gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB setze dieser Anspruch voraus, dass der Gläubiger die Hinzuziehung ausdrücklich verlangt hat. Daran fehle es im vorliegenden Fall, sodass der Anspruch auf Hinzuziehung nicht verletzt sei.
Schuldnerin muss Notar mit allen Mitteln zur zügigen Erledigung anhalten
Nach der Entscheidung des Senats trägt die Schuldnerin im Verhältnis zur Gläubigerin die Verantwortung für die insgesamt unzureichende Erstellung des Nachlassverzeichnisses durch den Notar. Dies sei nur dann anders, wenn die Schuldnerin alles in ihrer Macht Stehende getan habe, um den Notar zu einer zügigen und sorgfältigen Erledigung seines Auftrags anzuhalten. Dazu gehören nach Ansicht des Senats für den Fall zu zögerlicher Erledigung des Auftrags gegebenenfalls auch eine Beschwerde bei der Notarkammer. Mehrfache telefonische Nachfragen im Notariat – wie von der Schuldnerin behauptet – reichten für die Erfüllung dieser Anforderungen angesichts eines Zeitablaufs von einem halben Jahr nicht aus.
Zwangsgeldfestsetzung war gerechtfertigt
Im Ergebnis war die Festsetzung des Zwangsgeldes gegen die Schuldnerin auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des OLG nach dessen Auffassung noch gerechtfertigt. Daher hat der Senat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen die Zwangsgeldfestsetzung zurückgewiesen.
(OLG Frankfurt, Beschluss v. 6.10.2023, 14 W 41/23)
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