Rz. 209
In der Praxis besteht das Problem, dass der Pflichtteilsberechtigte die Höhe und den Wert des Nachlasses sowie die vom Erblasser zu Lebzeiten getätigten Zuwendungen nicht kennt und er nicht in der Lage ist, die Höhe seines Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu beziffern. Das Gesetz hat ihm deshalb einen Auskunftsanspruch gegen die Erben eingeräumt. Die Zentralnorm des Auskunftsbegehrens ist der § 2314 BGB. Er regelt letztlich drei voneinander unabhängige Auskunftsansprüche: den Auskunftsanspruch auf Vorlage eines privaten Bestandsverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 S. 1 BGB), den Anspruch auf Vorlage eines amtlichen Nachlassverzeichnisses (§ 2314 Abs. 1 S. 3 BGB) und den Anspruch auf Wertermittlung auf Kosten des Nachlasses (§ 2314 Abs. 1 S. 2 BGB).
Die Ansprüche sind voneinander unabhängig und schließen sich grundsätzlich nicht gegenseitig aus. Der Pflichtteilsberechtigte kann also die Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses auch dann noch fordern, wenn er bereits ein privates Nachlassverzeichnis erhalten hat. Ist ein Erbe bereits dazu verurteilt, Auskunft durch ein notarielles Nachlassverzeichnis zu erteilen, besteht kein darüber hinausgehender Anspruch auf Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses, da nach der Rechtsprechung des BGH das private und das notarielle Nachlassverzeichnis inhaltlich wesensgleich sind und dem Privatverzeichnis im Verhältnis zum notariellen Nachlassverzeichnis keine höhere Richtigkeitsgewähr zukommt. Damit wird deutlich: Ein "Wechsel" vom privatschriftlichen auf das notarielle Nachlassverzeichnis ist möglich, jedoch nicht umgekehrt. Verlangt der Pflichtteilsberechtigte, bei Erstellung nach § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB hinzugezogen zu werden, sind ihm mehrere Terminvorschläge zu unterbreiten. Die Auskunft kann auch durch einen hierzu beauftragten Rechtsanwalt oder den Testamentsvollstrecker abgegeben werden.
Rz. 210
§ 2314 BGB kann nur auf den pflichtteilsberechtigten Nichterben, nicht aber auch auf den pflichtteilsberechtigten Miterben angewendet werden kann. Des Weiteren findet § 2314 BGB nach überwiegender Meinung analog Anwendung auf die Auskunft bezüglich des fiktiven Nachlasses, d.h. bezüglich der zu Lebzeiten des Erblassers getätigten Schenkungen. Aber auch die analoge Anwendung des § 2314 BGB gegen den Beschenkten steht nach überwiegender Meinung nur dem pflichtteilsberechtigten Nichterben, nicht aber dem pflichtteilsberechtigten Miterben zu. Der pflichtteilsberechtigte Erbe hat aber unter bestimmten Voraussetzungen einen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB, vgl. §§ 255 ff. BGB.
Rz. 211
Der Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB steht nur dem begrenzten Personenkreis der Nichterben zu. Anspruchsberechtigt nach § 2314 BGB ist im Einzelnen: jeder Nichterbe aus dem Personenkreis der §§ 2303, 2309 BGB, der Abtretungsempfänger des Pflichtteilsanspruchs gem. §§ 2317, 398 BGB, der nicht erbende Pflichtteilsberechtigte, auch gegenüber dem vom Erblasser beschenkten Dritten nach § 2314 BGB analog, und der pflichtteilsberechtigte Ehegatte, der beim gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft die Erbschaft nach § 1371 Abs. 3 BGB ausgeschlagen hat.
Rz. 212
Der Auskunftsanspruch steht jedem pflichtteilsberechtigten Nichterben als eigenständiger Anspruch zu. Sind mehrere Enterbte vorhanden, so kann jeder eigenständig auf Auskunft klagen, da sie nicht als Gesamtgläubiger zu behandeln sind. Erhält der Pflichtteilsberechtigte ein Vermächtnis, so hindert dies grundsätzlich die Auskunftsberechtigung nicht.
Rz. 213
Keinen Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB haben hingegen: der pflichtteilsberechtigte Erbe, der pflichtteilsberechtigte Miterbe, der Nacherbe, der Nacherbe in Bezug auf den vom Vorerben Beschenkten (§ 2314 BGB analog) und derjenige, dem der Pflichtteil rechtmäßig entzogen worden ist.
Rz. 214
Auskunftspflichtig ist der Erbe persönlich, mehrere Erben als Gesamtschuldner und schließlich der Beschenkte bezüglich der in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall erfolgten Geschenke gem. § 2314 BGB analog. Bei einer Vor- und Nacherbschaft trifft die Auskunftspflicht bis zum Eintritt des Nacherbfalls nur den Vorerben.
Rz. 215
Der Testamentsvollstrecker ist zur Erfüllung unstreitiger Pflichtteilsansprüche einschließlich der Auskunftserteilung berechtigt und kann hierzu auch gem. §§ 2216, 2046 BGB verpflichtet sein. Bei einer Klage auf Auskunft hinsichtlich des Nachlasses nach § 2314 BGB ist er jedoch nicht passivlegitimiert.