Rz. 151
Dem Pflichtteilsergänzungsanspruch unterliegt immer nur der unentgeltliche Teil einer Zuwendung. Bei der Bewertung des Ergänzungsanspruchs ist demnach im Rahmen einer gemischten Schenkung immer die Gegenleistung abzuziehen.
In der Praxis ergibt sich oftmals die Schwierigkeit, dass nicht eindeutig geklärt ist, ob eine gemischte Schenkung vorliegt. Zweitens stellt sich das Problem, dass die Gegenleistung bewertet werden muss, um den unentgeltlichen Teil ermitteln zu können.
Rz. 152
Eine gemischte Schenkung liegt vor, wenn bei einem einheitlichen Vertrag der Wert der Leistung nur zum Teil dem Wert der Gegenleistung entspricht und die Parteien sich darüber einig sind, dass der überschießende Betrag unentgeltlich erfolgen soll (subjektive Äquivalenz). Somit ist grundsätzlich die Auffassung der Parteien entscheidend, ob eine Schenkung vorliegt. Fraglich ist, inwieweit die Parteien es in der Hand haben, die Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit zu bestimmen. Eine freie Bewertungsbefugnis der Parteien kommt nämlich dann nicht mehr in Betracht, wenn die getroffene Bewertung jeder sachlichen Grundlage entbehrt oder rein willkürlich ist. Die Parteien der Übergabe verfügen nur über einen engen Spielraum, innerhalb dessen die subjektive Bestimmung eine an sich fehlende Gegenleistung ersetzen kann. Andernfalls hätten sie die Möglichkeit, durch eine willkürliche Bemessung von Leistung und Gegenleistung die Rechtsfolgen des § 2325 BGB zu umgehen.
Rz. 153
Um den Pflichtteilsberechtigten nicht vor unlösbare Beweisprobleme zu stellen, wird seine Stellung durch eine Beweislastregelung verbessert. Stehen nämlich Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen und groben Missverhältnis, spricht nach Auffassung des BGH eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sich die Parteien über die Unentgeltlichkeit der Wertdifferenz einig waren und dass dann eine gemischte Schenkung vorliegt.
Rz. 154
Eine Anwendung der Beweislastregelung kann bereits dann möglich sein, wenn das Mehr der Leistung "über ein geringes Maß deutlich hinausgeht". In der Rechtsprechung finden sich allerdings keine Prozentangaben. Die Beweislast für das Vorliegen des Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung trägt allerdings immer der Pflichtteilsberechtigte. Greift die Beweiserleichterung ein, dann muss sich der Anspruchsgegner durch den Gegenbeweis entlasten, dass die getätigte Zuwendung seitens des Erblassers nicht unentgeltlich war.
Rz. 155
Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die Bewertung der Gegenleistung. Als typische Gegenleistung kann hier bspw. die Schuldübernahme oder die Einräumung eines Nießbrauchsrechts oder eines Wohnrechts vereinbart werden. Die Gegenleistung kann in einem solchen Fall den für die Berechnung des Ergänzungsanspruchs maßgeblichen Wert mindern. Für die Bewertung selbst geht § 2325 Abs. 2 BGB von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus, d.h., es ist der Wert des übergebenen Gegenstands unter Abzug der Gegenleistung zu ermitteln. Behält sich der Erblasser einen lebenslänglichen Nießbrauch an dem übergebenen Grundstück vor, so ist dieser in Höhe der kapitalisierten Nutzung in Abzug zu bringen, soweit es auf den Zeitpunkt der Schenkung ankommt (§ 2325 Abs. 2 BGB). Nur der Restbetrag unterliegt dem Ergänzungsanspruch. Nach Ansicht des BGH ist für die Bewertung des Nutzungsrechts auch zu berücksichtigen, inwieweit Reparatur- und Instandsetzungskosten eines Hauses über die reinen Reparaturkosten hinausgehen.
Rz. 156
Ein weiteres Bewertungsproblem in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob bei Abzug des Nießbrauchs von einem abstrakten kapitalisierten Wert auszugehen ist oder ob – was bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs grundsätzlich möglich ist – die tatsächliche Lebensdauer des Erblassers zu berücksichtigen ist. In konsequenter Folge zur Rechtsprechung des BGH ist auf den abstrakten kapitalisierten Nießbrauchswert abzustellen, da es um die Ermittlung des Wertes zum Zeitpunkt der Schenkung geht. Den für die Berechnung notwendigen abstrakten Nießbrauchswert erhält man durch Multiplikation des Jahreswertes mit der abstrakten Lebenserwartung des Berechtigten.
Rz. 157
Liegen allerdings im Zeitpunkt der Übertragung Besonderheiten vor, die eine kürzere bzw. kurze Lebenserwartung des Erblassers wahrscheinlich machen, so kann sich der Wert des Nießbrauchs reduzieren bzw. sogar gegen Null tendieren.