Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung des Niederstwertprinzips und Leibrentenverpflichtung
Leitsatz (amtlich)
Ist bei der Anwendung des Niederstwertprinzips (§ 2325 Abs. 2 S. 2 BGB) der Wert eines Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich, so kommt ein dem Erblasser vorbehaltener Nießbrauch nicht als Wertminderung der Schenkung in Ansatz, wohl aber eine Verpflichtung des Grundstücksübernehmers zur Zahlung einer Leibrente an den Erblasser. Die Bewertung der Leibrentenverpflichtung erfolgt abstrakt kapitalisiert nach der Anl. 9 zu § 14 BewG.
Normenkette
BGB § 2325 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Lübeck (Urteil vom 17.12.2007; Aktenzeichen 2 O 126/06) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 17.12.2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Lübeck teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 24.348,94 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4.4.2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten der I. Instanz tragen der Kläger zu 28 %, die Beklagte zu 72 %.
Die Kosten der II. Instanz tragen der Kläger zu 6 % und die Beklagte zu 94 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung gegen sie durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des nach dem Urteil jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei zuvor Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Parteien sind die Kinder der am 15.5.2005 verstorbenen A. Der Vater ist vorverstorben. Die Beklagte ist aufgrund Testaments der Mutter vom 3.11.1978 deren Alleinerbin. Sie hatte der Beklagten am 18.3.1975 vorbehaltlos ein Grundstück geschenkt und am 3.11.1978 ein weiteres Grundstück, bei dem sie sich den lebenslänglichen Nießbrauch vorbehalten hatte, dessen Jahreswert mit 3.500 DM angegeben wurde (Bl. 34-39 d.A.). Außerdem übernahm die Beklagte bei der zweiten Schenkung die Verpflichtung zur Zahlung einer monatlichen Leibrente i.H.v. 100 DM, anzupassen nach dem Lebenshaltungsindex. Der Eigentumsübergang einschließlich der Nießbrauchsbestellung ist am 22.3.1979 in das Grundbuch eingetragen worden. Der Grundbesitz war zur Zeit der Schenkung verpachtet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkunde vom 3.11.1978 verwiesen.
Der Kläger hat die Beklagte erstinstanzlich auf Erteilung einer Auskunft über den Nachlassbestand in Anspruch genommen. Insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Nach Auskunftserteilung hat der Kläger Zahlung i.H.v. 33.415,76 EUR nebst Zinsen verlangt. Den Zahlungsbetrag hat er im Wesentlichen aus einem angeblichen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung errechnet, dessen er sich wegen der Schenkung vom 3.11.1978 berühmt. Er hat zugrunde gelegt, dass der Grundstückswert zur Zeit der Schenkung, bei inflationsbereinigter Berechnung auch unter Abzug des Nießbrauchswertes und der Leibrentenlast höher sei als der zur Zeit des Erbfalls. Dementsprechend hat er den genannten Zahlungsantrag unter Berücksichtigung des angeblichen Wertes des Grundstücks beim Erbfall gestellt. Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt. Er hat einen niedrigeren Grundstückswert zur Zeit der Schenkung abzgl. der Belastungen durch Nießbrauch, Leibrentenverpflichtung und Grundpfandrechten behauptet. Hieraus hat er einen negativen Wert der Schenkung ermittelt.
Das LG hat aufgrund Beschlusses vom 25.4.2007 ein Sachverständigengutachten über den wirtschaftlichen Wert des Grundstücks zum 22.3.1979 und zum 15.5.2005 eingeholt. Der Sachverständige B hat in seinem Gutachten vom 14.8.2007 für das unbelastete Grundstück folgende Werte ermittelt:
Bodenwert zum 22.3.1979 107.000 EUR
Bodenwert zum 15.5.2006 110.000 EUR
Daneben hat er den Wert des Nießbrauchs - diesen nach zwei alternativ dargebotenen Berechnungsmethoden - und der Leibrente errechnet. Er kommt zu folgenden Werten:
|
Variante 1 |
Variante 2 |
Wert ohne Belastung |
107.000 EUR |
107.000 EUR |
Nießbrauch |
13.700 EUR |
20.100 EUR |
Leibrente |
6.900 EUR |
6.900 EUR |
Verkehrswert |
86.400 EUR |
80.000 EUR |
Im Laufe des Rechtsstreits haben die Parteien den Wert des restlichen Nachlasses mit 400 EUR und die Höhe der Nachlassverbindlichkeiten mit 6.500 EUR unstreitig gestellt.
Das LG hat der Klage i.H.v. 25.975 EUR nebst Zinsen stattgegeben. In dieser Höhe stehe dem Kläger ein Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Den Pflichtteilsergänzungsanspruch hat es anhand des Niederstwertprinzips ermittelt. Dessen Anwendung soll nach Auffassung des LG dazu führen, dass bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsbetrages von dem vollen Grundstückswert ohne Abzüge wegen des Nießbrauchs oder der von dem Kläger erbrachten Leibrentenzahlungen auszugehen sei. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei nämlich der Grundstückswert zur Zeit des Erbfalls niedriger als zur Zeit der Schenkung. Sei aber der Wert zum Todeszeitpunkt maßgeblich, so bleibe der Wert der vorausgegangenen Belastungen unbe...