Dr. iur. Martin Nebeling, Manfred Ehlers
Rz. 83
Der genaue Inhalt der Bezugnahmeklausel ist durch Auslegung der Parteiabsprachen nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. LAG Hamm v. 5.6.1998 – 10 Sa 1564/97). Verweisungen auf Tarifverträge einer bestimmten Branche schließen dabei laut einer Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein grds. nicht nur Verbandstarifverträge, sondern auch entsprechende firmenbezogene Tarifverträge dieser Branche ein. Für ein anderes Auslegungsergebnis müssten konkrete andere Anhaltspunkte vorhanden sein (LAG Schleswig-Holstein v. 30.3.2010, n.v.). Hinsichtlich der Auslegung differenziert das BAG allerdings zwischen Bezugnahmeklauseln, welche vor der Schuldrechtsmodernisierungsreform und somit vor dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden, und solchen, welche erst anschließend geschlossen wurden.
Rz. 84
Bis zum 1.1.2002 geschlossene Bezugnahmeklauseln werden im Zweifel als Gleichstellungsabreden ausgelegt, wenn der Arbeitgeber an den in Bezug genommenen Tarifvertrag kollektivrechtlich ggü. den organisierten Arbeitnehmern gebunden ist (BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04). In diesem Fall schließt der Arbeitgeber die Bezugnahmeklausel, um alle Arbeitnehmer nach denselben Grundsätzen behandeln zu können, auch ohne bereits beim Abschluss des Vertrages nach der Gewerkschaftszugehörigkeit fragen zu müssen. Dies hat zur Folge, dass sich die Arbeitsverhältnisse der nicht organisierten Arbeitnehmer so lange mit dem Tarifvertrag fortentwickeln, wie der Arbeitgeber an den Tarifvertrag gebunden ist. Endet die Tarifbindung des Arbeitgebers, bspw. durch Austritt aus dem Arbeitgeberverband, entwickeln sich die Arbeitsverhältnisse der organisierten Arbeitnehmer nicht fort und somit endet aufgrund der Gleichstellungsklausel auch die Fortentwicklung für die nicht organisierten Arbeitnehmer (BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04). Eine derartige Auslegung ist jedoch nicht möglich, wenn der Arbeitgeber nicht an den Tarifvertrag gebunden ist, oder die Bezugnahmeklausel auf einen nach seinem Geltungsbereich nicht einschlägigen Tarifvertrag verweist. In diesem Fall kann die Gleichstellung der organisierten und der nicht organisierten Arbeitnehmer nicht das Ziel der Bezugnahmeklausel sein.
Rz. 85
Diese Auslegung galt bis zu einem die st. Rspr. ändernden BAG, Urt. v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 für alle Bezugnahmeklauseln und wird nun noch aus Vertrauensschutzgründen für die vor der Schuldrechtsmodernisierungsreform geschlossenen Verträge weitergeführt. Ein Betriebsübergang, der nach dem 1.1.2002 erfolgte, führt nicht zum Verlust des Vertrauensschutzes. Er ist für die Auslegung der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, in welches der Betriebserwerber nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB eintritt, ohne Relevanz (BAG v. 17.11.2011 - 2 AZR 945/08). Einen weiter reichenden Vertrauensschutz bis zum Zeitpunkt der Rechtsprechungsänderung hat das BAG aufgrund der bereits lange andauernden Diskussionen um diese Auslegung ausdrücklich abgelehnt (BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05). Es wäre dem Arbeitgeber möglich gewesen eine klare Vereinbarung zu treffen.
Rz. 86
Bezugnahmeklauseln, welche nach dem 1.1.2002 abgeschlossen wurden, sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen. Verweist somit eine individualvertragliche Klausel ohne Einschränkung auf einen bestimmten Tarifvertrag in seiner jeweils geltenden Fassung, so ist dies dahin gehend auszulegen, dass die Geltung nicht von Faktoren abhängt, die nicht im Vertrag genannt sind oder sonst für beide Parteien ersichtlich zur Voraussetzung gemacht wurden (BAG v. 18.4.2007 – 4 AZR 652/05). Kritisiert wurde insb. an der vorherigen Auslegung, dass der Arbeitnehmer allein anhand der Bezugnahmeklausel in seinem Arbeitsvertrag nicht erkennen kann, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist oder nicht. Dies war für die Auslegung "alter" Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede wesentlich. Würden solche unklaren Regelungen wie in der bisherigen Rechtsprechung ausgelegt, so gingen Zweifel zulasten des Arbeitnehmers und nicht des Verwenders, wie von § 305c Abs. 2 BGB für Formularverträge gefordert.
Rz. 87
Der Arbeitnehmer muss daher allein anhand seines Arbeitsvertrages erkennen können, um was für eine Art von Klausel es sich handelt. Ist dies für den Arbeitnehmer nicht eindeutig möglich, so gehen die Zweifel zulasten des Verwenders und mithin zulasten des Arbeitgebers; Bezugnahmeklauseln in vorformulierten Arbeitsverträgen gelten als von ihm gestellt (§ 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Im Falle einer Tarifsukzession ist die entstandene Vertragslücke regelmäßig im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch die Arbeitsgerichte zu schließen (BAG v. 12.12.2012 – 4 AZR 65/11).
Rz. 88
Somit empfiehlt es sich eindeutig festzulegen, wie weit eine Bezugnahme gehen soll und unter Umständen auch, was mit ihr bezweckt wird.
Rz. 89
Muster 17.5: Bezugnahmeklausel (Tarifvertrag)
Muster 17.5: Bezugnahmeklausel (Tarifvertrag)
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statische Bezugnahmeklausel Im Übrigen findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag der Metallindustrie vom ___________________... |